: Hundefutterhehler
■ Shane Meadows zeigt in seinem ersten Langfilm, „Smalltime“, warum es für junge Taugenichtse in den englischen Midlands nicht leicht ist
Die Jungs laufen. Vorbei an zweistöckigen Ziegelsteinhäusern, über kaum belebte Straßen, ganz ohne Ziel. Manchmal lungern sie an einer Straßenecke, manchmal fahren sie in einem Kleinlaster, manchmal sitzen sie in Wohnungen, rauchen Joints und trinken Büchsenbier. Aber meistens laufen sie, als gäbe es ein ungeschriebenes Gesetz, dem gemäß Filme über Jungs, die keine Ausbildung, keine Perspektive und trotzdem ihren Spaß haben, ums Laufen nicht herumkommen.
„Smalltime“, die erste längere Arbeit, die der gerade mal 25jährige Regisseur Shane Meadows nach einer ganzen Reihe von Kurzfilmen gedreht hat, ist so ein Lauffilm. Gekostet hat die 60minütige Videoproduktion nicht mehr als 4.500 Pfund; angesiedelt ist sie in den englischen Midlands, in einem Nest namens Snelton. Die Helden, die beiden Kumpel Jumbo (von Regisseur Meadows selbst gespielt) und Malcolm (Mat Hands), geben eine mal prollige, mal MTV- taugliche Variante des Flaneurs alter Schule. Sie drehen krumme Dinger, ohne daß sie damit nennenswerte Einkünfte erzielten. Sie streiten sich mit ihren Freundinnen, die penelopehaft das Haus hüten. Tumb, wie sie sind, stehlen sie Hundefutter oder lassen Zweite- Hand-Ware vom Flohmarkt mitgehen. „Wir nehmen's den Reichen und verkaufen's billig an die Armen“, sagen sie und vergessen dabei, daß sie eigentlich gar nichts verkaufen. Wäre Snelton in den USA, man würde „white trash“ zu den beiden sagen; so nennen sie sich selbst „Schmalspurganoven“.
Anfangs inszeniert Meadows die kleinen Gaunereien seiner Unterschichtshelden mit leichter Hand, schwarzem Humor und ohne jede Betroffenheit. Schon in seinem Kurzfilm „Where's the Money, Ronnie?“, der zusammen mit „Smalltime“ zu sehen ist, hat er diese vergnügliche Mischung auf eine Gruppe juveniler Delinquenten angewendet. Doch in „Smalltime“ treten irgendwann die Frauen auf den Plan und mit ihnen ein Ernst, den man zunächst gar nicht wahrhaben möchte. Denn Kate (Dena Smiles) und Ruby (Gena Kawecka) erwarten etwas von ihren Jungs. Daß sie ab und zu auf den Nachwuchs aufpassen, das Geschirr spülen oder sich waschen vorm Sex. Kurz: daß sie erwachsen werden.
Damit ist die gute Laune dahin, für die Figuren wie fürs Publikum. Jumbo wird zum aggressiven Schläger, Malcolm entpuppt sich als hilflose Gestalt, die sich zwischen den Ambitionen Kates und den Ansprüchen des Kumpels aufreibt. Wer wollte es noch komisch finden, wenn Jumbo mit den Fäusten droht, nur weil er erkennen muß, daß ein Vibrator mehr kann als er? Meadows überläßt seinen Frauenfiguren die undankbare Rolle, Agentinnen des Realitätsprinzips zu sein. Und unübersehbar durchweht ein Hauch von Soziodram die neue britische Leichtigkeit. Cristina Nord
„Smalltime“. R: Shane Meadows, mit Shane Meadows, Mat Hands, Dena Smiles, Gena Kawecka, GB 1996, 60 Min. 14. Januar bis 27. Januar im fsk am Oranienplatz und vom 21. Januar bis 27. Januar Kino Hackesche Höfe 3 und 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen