Strategische Spielhöllen im Keller

■ Rumänien lebt noch in der informationstechnischen Steinzeit. Nur Großkunden können sich leistungsfähige Netzanschlüsse leisten. Aber in Bukarest machen Internetcafes trotzdem gute Geschäfte - mit Compute

Das Geschäft mit dem kryptischen Namen „MYX“ gehört der Firma Mobifon, einem der größten rumänischen Anbieter von Mobiltelefonen. Von denen ist hier jedoch weit und breit keine Spur zu sehen. In dem Laden werden Jeans, T-Shirts und Pullover angeboten. Und noch etwas: „Internet- Café im Keller“. Darauf weist zumindest ein winziger Zettel an der Eingangstür hin. Zu entdecken ist er nur, wenn der Laden geschlossen ist. Aber während der Geschäftszeiten steht die Tür offen.

Wer schließlich doch in den großen, rosafarben angestrichenen Keller herabgestiegen ist, findet auch dort die insgesamt vier Computer nicht ohne weiteres. Sie stehen verborgen hinter einer Wand, die den Raum teilt. Völlig unauffindbar ist der Server-Administrator, und Iancu Avram, der Chef des „MYX“-Cafés“, hat von Computern keine Ahnung. Er weiß nur, daß die Stunde Surfen viereinhalb Dollar kostet, und gibt zu, daß die Internetseiten im Schneckentempo auf dem Bildschirm erscheinen. „Ich bin nur ein Firmenangestellter und eher für Gastronomie zuständig“, lächelt er aufrichtig. „Uns fehlen Spezialisten.“

Internetcafés wie das „MYX“ am Bukarester Universitätsplatz gibt es in der rumänischen Hauptstadt dutzendweise. Doch während das gerade erst eröffnete MYX noch kaum Kunden hat, ist in anderen, seit längerem bestehenden kaum ein Platz zu finden. Bei einem Gehalt von 200 bis 300 Mark im Monat übersteigt der Kauf eines eigenen Computers das durchschnittliche Budget rumänischer Haushalte. Die Lösung für viele ist daher das Internetcafé.

Doch das Interesse am Netz ist gering. Die meisten der sogenannten Internetcafés in Bukarest sind eher virtuelle Spielhöllen – strategisch gut plaziert in der Nähe von Schulen und daher immer von Jugendlichen bevölkert. So auch im Fall des Internetcafés „Bionet“ in der Paleologustraße, in deren Umgebung sich mehrere Mittelschulen und Gymnasien befinden. Bogdan Radu, der 25 Jahre alte Besitzer, hat im letzten Sommer sein Informatikstudium beendet und betreibt seit Herbst das Café mit sechs Multimedia-Computern. Aus den Maschinen zischt, knallt, kracht, knattert und piepst es unaufhörlich. Um jeden Monitor herum sitzen zwei, drei Jungen, nicht älter als 17 Jahre. Sie starren gebannt auf das digitale Schlachtfeld, während jeweils einer von ihnen hektisch auf die Tastatur eindrischt. Nichts könnte die Kids ablenken außer einem plötzlichen Stromausfall.

Eine Stunde Surfen kostet im „Bionet“ 3 Mark. Doch die meisten leihen sich am Tresen lieber für 1,85 pro Stunde eine Game-CD aus. „90 Prozent derer, die herkommen, wollen spielen, nur 10 Prozent benutzen Internet oder E-Mail“, sagt Radu bedauernd. Denn allein von den Spielwütigen kann er nicht leben und arbeitet deshalb nebenbei noch als Grafiker, Programmierer, Computer- und Softwareberater.

Arbeit scheint es genügend zu geben: In Rumänien sprießen Hard- und Softwarefirmen aus dem Boden. Zahlreiche PC-Zeitschriften erscheinen, Internetanbieter werben in Tageszeitungen und im Radio um Kunden. Doch so umkämpft der Markt ist, so klein ist er auch. Und das nicht nur, weil die meisten Rumänen sich keinen Computer leisten können. Rumänien lebt in der informationstechnologischen Steinzeit. 1997 wurden in Rumänien lediglich etwa 50.000 PCs verkauft, 1998 waren es 59.000. Am Jahresende funktionierten im Land lediglich rund 20.000 Netzserver – das ist sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zu den 23 Millionen Einwohnern des Landes einer der letzten Plätze in Europa.

Trotzdem bietet eine große rumänische Möbelfirma auch Online-Einkauf an. Und in den Büros der Regierung stehen brandneue Computer, der rumänische Staatspräsident besitzt sogar eine eigene Homepage. Doch das gleicht eher Spielerei als Ernst – nicht nur weil die amtlichen rumänischen Homepages miserabel organisiert sind. Die Staatsverwaltung und der gesamte öffentliche Dienst arbeiten fast ausnahmslos ohne EDV- Netze. In den meisten Schulen stehen gar keine, an den Universitäten nur wenige Computer. Rumänien ist eines der letzten europäischen Länder, in denen internationale Online-Anbieter wie AOL und CompuServe keine eigenen Knotenpunkte eingerichtet haben. Sie sind nur über Mittlernetzwerke erreichbar, und überdies erschwert eines der schlechtesten Telefonnetze Europas die Datenübertragung. Zwar steht der Privatsektor der Computerisierung bereits weitaus besser da. Doch das nützt wenig, wenn es zum Beispiel bei den Banken noch nicht mal ein Girokontosystem gibt.

Es ist kaum drei Jahre her, da warnte der rumänische Geheimdienst SRI noch vor der „Gefahrenquelle Internet“. Im März 1995 wetterte der Ex-SRI-Stellvertreter Vasile Lupu: „Das System Internet dringt in Rumänien gewaltsam vor. Es ist ein idealer Weg für Spionage und sichert den Transport geheimer Informationen aus allen Bereichen.“ Solche Zeiten sind inzwischen vorbei. Statt vor den Gefahren des Internets warnen Politiker und Experten heute davor, daß Rumänien den Anschluß an die technologische Entwicklung nicht schafft. Aber der Rückstand liegt nicht nur an fehlenden Staatsfinanzen. Maßnahmen und Programme, um Informationstechnologie zu fördern, fehlen. Obwohl Rumänien selbst keine Hardware und kaum nennenswerte Software produziert, fallen die Zollschranken für beide erst im nächsten Jahr vollständig.

Dabei hat sich auf dem Privatmarkt längst etwas getan. Die Firma Kappa war 1996 die erste, die einen ernstzunehmenden einheimischen Online-Dienst über ihr Kabelfernsehsystem anbot. Kappa wirbt vor allem mit Geschwindigkeit: 4 Megabit pro Sekunde kann das Kabelsystem theoretisch übertragen. Das ist allerdings teuer: 500 Dollar kostet allein das Spezialmodem, weitere 100 bis 200 Dollar das Verlegen der Koaxialkabel. Kappa hat bisher noch keine Individualkunden. Lediglich etwa 400 Großorganisationen, darunter die Regierung, die staatliche Nachrichtenagentur, die Stiftung des Börsenmagnaten Soros und eine Reihe Bukarester Tageszeitungen hängen an diesem Hochleistungsnetz.

Dan Dragotescu, EDV-Chef bei Adevarul (Die Wahrheit), der größten Tageszeitung des Landes, ist dennoch nicht mit der Firma Kappa zufrieden. „Die Geschwindigkeiten beim Datentransfer liegen für unsere Benutzer durch die Überlastung des Netzes und durch die leistungsschwachen Computer höchstens bei 10 Kilobit pro Sekunde“, sagt er. „Außerdem sind die Kabel oberirdisch über die Masten der Bukarester Straßenbahnen und Trolleybusse verlegt. Durch den Verkehr kommt es öfters vor, daß ein Kabel reißt, und dann dauert es erst mal, bis das wieder repariert ist.“

Solche Probleme hat Eugen Nicolae nicht. Er ist der Betreiber des „Internet-Cafés“ an der Piata Rosetti, des einzigen in Bukarest, das diesen Namen verdient. Seine Internetverbindung läuft über die Firma PCNet. Kabelprobleme gibt es mit ihr offenbar nicht. Außerdem hat Nicolae zwei verschiedene Satellitenverbindungen gemietet, so daß bei einem Ausfall sofort eine Alternative bereitsteht. Auch die Übertragungsgeschwindigkeit ist hier so gut wie nirgendwo sonst in Bukarest. In Sekundenschnelle erscheinen die Seiten, das Herunterladen von einem Megabyte dauert weniger als eine halbe Minute.

Zwanzig Computer gibt es in Nicolaes Café. Neben Internetzugang bietet es auch Telnet, Chatkanäle und einen eigenen E-Mail- Service an. Ein Platz an den Rechnern ist meist schwer zu bekommen, weil das Café als das beste in Bukarest gilt. Die Hälfte der Computer steht in einem Kellerraum für spielwütige Jugendliche bereit. Zutritt zum „Battlenet“ haben Schüler allerdings erst nachmittags nach Schulschluß.

Eugen Nicolae ist der Typ des jungen wilden osteuropäischen Selfmade-Kapitalisten. Er hat Betriebswirtschaft und Informatik studiert, als Casinomanager garbeitet und Bingo-Systeme verkauft. Im September 1996 machte er das erste Internetcafé Rumäniens auf. Heute ist sein Laden 24 Stunden am Tag geöffnet. Bei Nicolae müssen sogar die Kellnerinnen den Unix-Server bedienen können. Das Personal, meint er, sollte unbedingt alle sechs Monate rausgeschmissen werden, weil es sonst zu Bequemlichkeit neige.

Nur für die Netzwerksicherheit hat Nicolae einen permanenten Angestellten: den Hacker Mateias Calin. Der heute 19jährige machte vor zwei Jahren dadurch Furore, daß er in US-amerikanische und westeuropäische Computersysteme einbrach, und hat eine Akte beim FBI liegen. Eugen Nicolae hofft, daß er ihn in seinem Internetcafé „auf einen positiven Weg“ gebracht hat. Keno Verseck

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