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Klick, klick, klick

Fünfzig Bilder pro Sekunde, Millionen von Fotos: Die Datenfirma Tele-Info läßt in den Städten jedes Haus fotografieren – eine neue Datenmacht. Datenschützern will die Firma einen Maulkorb verpassen lassen  ■ Aus Garbsen (real) und Heidelberg (virtuell) Bernd Müllender

Garbsen, Ortsteil Berenbostel, Gewerbegebiet Nord, alles kein Problem. Aber die Carl-Zeiss-Straße? Der Taxifahrer grübelt. Sein Stadtplan hilft nicht, zur Zentrale kommt er im dauernden Funkgedudel nicht durch. Am Zielort schließlich klassische Passantenhilfe: Da lang. Wenden, zweifeln. Dann klappt es. „Nr. 25: Sehen Sie, kein Problem.“

Rolf-A. Sood lacht über solcherlei Komplikationen: „Sehen Sie, das soll ja bald anders werden.“ Rolf-A. Sood (46) ist Geschäftsführer der kleinen Firma Tele-Info (30 Mitarbeiter) in Garbsen bei Hannover und macht Schlagzeilen mit seinem neuen, ehrgeizigen Projekt: Privatfirma fotografiert alles... Neues elektronisches Adreßbuch... Horrorszenen... Datenmißbrauch...

Ein Pionier am Pranger? „Lauter Skandalgeschichten ohne Grundlagen“, sagt Sood. Und vergleicht: „Ich kann doch den Erfinder des Stahls auch nicht dafür verantwortlich machen, wenn jemand mit einer Axt einen anderen erschlägt.“ Soods Prokurist Rolf Gotthardt bemüht hilfsweise die Vergangenheit: „Bei der ersten Eisenbahn Nürnberg–Fürth haben Mediziner auch gewarnt: Eine Beschleunigung auf 15 Stundenkilometer könne der menschliche Organismus nicht aushalten.“

Was treiben diese Männer Ungeheuerliches? Sie sind Sammler. Digitale Datensammler. Seit dem Herbst schleichen sechs Mercedes- Kleintransporter von Tele-Info Stunde um Stunde mit jeweils mindestens sechs automatischen Präzisionskameras am Dach durch Deutschlands Städte und dokumentieren alles. Alle Straßen, alle Häuser, alle Ecken. Mit 30 bis 50 Bildern pro Sekunde. Niemand wird gefragt. Alle Immobilien werden digital gespeichert, von links, von rechts, im Umfeld, im Detail, mit Hausnummern. Gigantische Datenberge entstehen. Hannover, Hamburg, Heidelberg, Düsseldorf und Leipzig sind bereits erfaßt. Derzeitiges Einsatzgebiet: München; vielleicht rollt der Wagen in diesem Moment gerade die, sagen wir, Hackenstraße hoch, Nr. 5: Klickklick; Nr. 7: Klickklickklick. Danach ist Berlin dran. Bis Ende 1999 sollen alle Städte über 20.000 Einwohner erfaßt sein.

Eine originäre Idee. Weltweit. Vor allem: Kein Vorbild in Gods own Bit 'n Byte Country USA. „Wir sind wirklich die ersten. Das erstaunt mich auch. Und es macht Mut“, sagt Sood. Das Wort Stolz vermeidet der freundliche, offen wirkende Systemingenieur und lädt Heidelberg auf seinen Demorechner.

Wir fahren die Autoroute nach, Handschuhsheimer Landstraße. Sechs Bilder parallel, von jeder Kamera. Rechts buntes Fachwerk, links graue Fassade. Pfarrgasse rechts. Es ruckelt voran wie ein stotternder Film, Bild auf Bild. Gasthaus Zur Rose, ein paar Bäume. Weiter. Fahrtempo: um die 20 Stundenkilometer. Unten laufen die geographischen Daten mit: 8 Grad Ost, 41 Minuten, 15 Sekunden, 360 Millisekunden. „Das geht auf drei Meter genau“, sagt Sood. Gasthaus zum Wilden Kaiser. Wieder Fachwerk. „Das ist schon die ganze Herrlichkeit“, meint er nach ein paar Minuten. Als wäre es ein harmloses Spiel.

Vier Millionen Mark hat Tele- Info investiert. Die Kunden? Vor allem Städte sollen ihr eigenes Abbild kaufen, dazu Rettungsdienste, Polizei, Versicherungen, Banken, Adreßhändler, die Werbewirtschaft. Hamburg wird eine halbe Million Mark kosten, Hannover mit seinen 600 Gigabyte nur die Hälfte. Alles inclusive Extra- Hardware, denn herkömmliche Rechner bräuchten schon für eine Kleinstadt gut hundert CD- ROMs. Sood nennt sein Lieblingsbeispiel: die örtlichen Feuerwehren. Die könnten sich bei Alarm schon unterwegs über die Einsatzumgebung informieren, wo die Hydranten seien, welche Beschaffenheit die Nebenhäuser hätten, ob Drehleitern einsetzbar seien. „Manche sind begeistert.“ Aber: „Manche haben auch abgewunken.“ Probleme bereitet es auch, die Daten in die alten Rechnersysteme der Wehren einzubasteln.

Andere Kunden: Grünflächenämter mit veralteten Baumkatastern. Stadtplaner. Die Abfallwirtschaft. Straßenbauämter. Oder Vermessungsämter: „Sollen die ihre Ingenieure mit kalkulatorischen 120 Mark pro Stunde durch die Stadt schicken? Viel zu teuer. Und das kommt ja auf die Gebühren, etwa beim Abwasser, oben drauf.“ Klingt gut? Die Besitzer von Schwarzbauten würden die datentechnische Steinzeit vorziehen.

In Heidelberg schon wieder ein Gasthaus, diesmal Zum Löwen. Mühltalstraße. „Da, das ist der Echtfall“, sagt Sood plötzlich, als links eine Telefonzelle auftaucht. Denn diese Zelle sei in den Datensätzen der Stadt nicht verzeichnet. Auch das eine Aufgabe der Fotosammlung: Die fehlerfreie Dokumentation des öffentlichen Raumes: neben Telefonzellen auch Abfallcontainer, Haltestellen, Parkbänke. „Allein in diesem Demogebiet haben wir 20 Telefonzellen gefunden. Die Stadt hatte vier dokumentiert. Die meisten Städte helfen uns mit ihren Daten“, sagt Sood. Ach, nicht alle? „Na ja, manche nicht“, sagt er knapp, „etwa Bremen.“ Näheres sagt er nicht. Kein schönes Thema – Mißtrauen auch bei den Kommunen, den potentiellen Kunden.

Bevor ein einziger Datensatz verkauft ist, hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob im ZDF losgepoltert: Die Rechte der Bürger würden mit Füßen getreten, der Kriminalität werde Tür und Tor geöffnet, überhaupt sei alles „unzulässig“: „Eine neue Dimension von Datenmacht in privater Hand; ein schwerer Einschnitt in die Privatsphäre.“

Tele-Info sah sich verfolgt und beantragte eine einstweilige Verfügung. Die Entscheidung fällt in diesen Tagen beim Kölner Verwaltungsgericht. Sood schimpft: „Dieser Dr. Jacob ist erstens nur für Bundesbehörden zuständig; zweitens hat der kein Wort mit uns gesprochen, und drittens stimmt das alles nicht, was der da von der Fernsehkanzel heruntergewettert hat. Wir sammeln keine personenbezogenen Daten.“ In Jacobs Bonner Büro hält man sich zurück, die Sprecherin erkennt indes „den Versuch, uns als Kontrollinstitution mundtot zu machen“. Immerhin sei ihr Amt per Gesetz „Berater der Bundesregierung“ und habe sich sehr wohl „um die Entwicklung des Datenschutzes in privater Hand zu kümmern“.

Strafrechtlich ist die Lage eindeutig uneindeutig: Datenschützer sorgen sich, sehen aber bislang keine Gesetzwidrigkeit. Zivilrechtlich will Tele-Info zurückschlagen. Man erwägt gegen Jacobs Behörde eine Schadenersatz- Forderung für eine PR-Kampagne, um den Imageschaden „nach diesen Tumulten“ (Sood) zu korrigieren. Größenordnung: fünf Millionen Mark.

Zurück nach Zweit-Heidelberg: „Hier kann man jetzt genau erkennen, wie viele Fahrbahnen die B 3 wo hat und wo die Abbiegespuren beginnen.“ Damit sollen bisherige PKW-Navigationssysteme verbessert werden: „Mit einem AddOn zu vorhandenen Produkten, die oft ungenau sind.“ Das eigene Firmengebäude als bestes Beispiel, so Sood: „Das ist 27 Meter weiter da drüben verzeichnet, voll im Wassergraben.“ Ob den Taxifahrer das sehr verwirrt hätte?

Der Wagen fährt durch eine Heidelberger Seitenstraße. Rechts ein massiges Grafitto. Stop! Sood fährt ein paar Bilder zurück. Ja, sagt er, vielleicht wolle tatsächlich eine Reinigungsfirma alle derart bemalten Häuser herausfiltern und die Hausbewohner anschreiben, die man – klickklick am PC – mit der Tele-Info-ROM in der Kombination mit den Adressen ruck, zuck! findet. „Warum nicht!“

Gerade solche sekundenschnelle Verknüpfung (etwa von Tele-Info selbst, den ersten, die 1990 Telefonbücher abscannten) lassen zu einzelnen BürgerInnen detailliertes Wissen kombinieren – Tenor: So wohnt also Bettina M. aus B. Datenschützer warnen. Sood warnt auch, aber vor der Konkurrenzfirma Topware in Mannheim, die 1994 angeblich 600 Chinesen die Telefonbücher Name für Name abtippen ließen und elektronisch speicherten: „Alles erfunden. Das Foto wurde in einem Studio in Düsseldorf aufgenommen. Die wollten nur kaschieren, daß sie abgekupfert haben.“

Die Werbewirtschaft freut sich: Häuser mit Garten bekommen Angebote vom Blumenhändler, Rasenmähersonderangebote und die neuesten Gartenzwergmodelle. Makler in Hamburg wissen sofort alles über das Umfeld eines angebotenen Hauses in Köln und sparen sich die Besichtigung: Höhere Effizienz bei der Vorakquise werden sie das nennen.

Gute Wohngegend? Dann verfüllen Edelmarken die Briefkästen. Mietskaserne bedeutet Massenwurfsendung. Alle Bürger kommen in viele ideale Schubladen – Scoring sagt die Fachwelt dazu. Diese Methode der Rasterfahndung wird durch Tele- Infos Fotosafari perfektioniert.

Ob Sood das Unbehagen vieler Menschen verstehe? „Völlig!“ sagt er überraschend. „Aber es beruht auf Vorurteilen und Falschinformationen.“ 80 Briefe empörter Bürger hat Tele-Info bekommen. Sood schlägt die Einrichtung einer öffentlichen Sperrdatei vor. Wer nicht gespeichert werden will, solle es halt kundtun. Das werde „selbstverständlich akzeptiert“. Es fehlten heute „aber technologiebezogene, aktuelle Datenschutzgesetze. Da will offenbar keiner ran.“

SkeptikerInnen insbesondere privater Sammelwut könnten sich auch anders sehr nachhaltig wehren, etwa im Telefonbuch ihre Hausnummer streichen lassen. Dann ist eine Verknüpfung mit Fotos nicht mehr möglich. Oder man gibt immer und überall – eine Art persönliches AddOn – eine leicht veränderte Hausnummer an, dann wird etwa Neumarkt 7 zu Neumarkt 7/1, zu 7/2, zu 7/3 etc. Wenn man darüber Buch führt, weiß man auch, wer woher eine Adresse hat.

So wird aus Datenmaximierung Datenschwund und Datenschund.

Ende der Heidelberger Demoroute. Kein Mord zufällig dokumentiert. Kein Liebespaar in den Fenstern erwischt. „Das werden Sie auch nicht sehen“, lacht Sood. Alles halb so wild? Man sieht weniger Details als gedacht. Die Kunden wollen keine Show hinter Gardinen, sondern Datenverknüpfungen, lockende Datenpakete.

Lückenlose Perfektion beim Städte-Shooting bekommen sie ohnehin nicht. Zufällig ein hoher Lkw vor der Tür, dann ist auch von den Kameras aus 2,50 Meter Höhe wenig zu sehen. Villen versteckt in Parks – keine Chance. Gebäude werden abgerissen und ständig neu gebaut. Gut 10 Prozent aller Straßen ändern sich pro Jahr. Sood: „Die 30 größten Städte werden wir jedes Jahr neu abfahren und den Kunden als Update liefern.“ Die 31. Stadt wäre statistisch Krefeld. Glück oder Pech?

Tele-Info also will fahren, fahren, fahren. Sood: „Und die Interessenten werden hochgradig kaufen.“ Er berichtet von Aufträgen aus dem Ausland, Rom zur 2000-Jahr-Feier und Houston: „Die Amerikaner sehen das viel relaxter.“ Oder Riad. „Kataster und Straßenpläne haben die nicht. In 300 Stunden machen wir so eine Stadt.“ An Geld wird es den Saudis nicht mangeln.

Und wenn es Protest gibt? In Aachen will ein Hauseigentümer die ungebetenen Knipser mit einem Transparent quer übers Haus begrüßen: „Tele-Info, haut ab! Mein Haus gehört mir.“ Dessen Vermutung: „Das macht sich nicht so gut auf dem Bild.“ Sood lacht schallend: „Nein, sowas hatten wir noch nicht.“ Was er dann machen wolle? „Löschen, oder, ach, wir lassen es einfach.“ Kunden müssen keine makellosen Bilder haben.

Das Taxi hat Hannovers Hauptbahnhof dann problemlos gefunden. In München hat Tele-Infos rollendes Fotostudio in der Zwischenzeit ein paar hunderttausend Bilder geschossen und ist mittlerweile vielleicht in der Sendlinger Straße. Rechts Nr. 6: Klick. Klick. Klick. Nr. 8: Klk.Klk.Klk.Klk. Und weiter: Klklklklklklklkkkkk.

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