Nachgefragt: Dauerbespitzelt
■ Der Polizeikritiker und Rechtsanwalt Rolf Gössner lebt seit 28 Jahren unter Beobachtung durch Staatsschützer
Seit 28 Jahren wird der Bremer Rechtsanwalt und Polizeikritiker Rolf Gössner vom Verfassungsschutz bespitzelt. Die Staatsschützer werfen ihm eine „Zusammenarbeit mit linksextremistischen Personenkreisen“ vor. Namhafte Schriftsteller wie Günter Grass, Horst Eberhard Richter und Dieter Hildebrandt haben in den vergangenen Jahren gegen die Überwachung Gössners protestiert – bislang ohne Erfolg. In einer Erklärung haben die Grünen des niedersächsischen Landtages sowie die Gewerkschaft IG Medien den Innenminister Otto Schily (SPD) aufgefordert, der Bespitzelung ein Ende zu setzen. Gössner selbst ist pessimitisch. Auch mit „Rot-Grün wird es keinen Einstieg in eine geheimdienstfreie Gesellschaft geben“, schrieb er am 5. Januar in der taz. Gössner ist Herausgeber des Buches „Mythos Sicherheit - der hilflose Schrei nach dem starken Staat“ und arbeitet als juristischer Berater für die Grünen in Hannover.
taz: Herr Gössner, wie fühlt man sich eigentlich so unter ständiger Beobachtung?
Rolf Gössner: Mein Leben läuft ganz normal weiter. Aber seitdem ich weiß, daß ich beobachtet werde, habe ich manchmal ein mulmiges Gefühl. Man muß aufpassen, daß man keine Paranoia entwickelt.
Seit wann wissen Sie, daß Sie bespitzelt werden?
Seit 1996. Ich war damals Mitglied der Zeitschrift „geheim“. Die Zeitschrift, die sich kritisch mit Geheimdiensten auseinandersetzt, wurde 1994 im Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch eingestuft. Ich wollte damals wissen, ob ich mich in Zukunft als amtlich beglaubigter Linksextremist bezeichnen lassen muß und habe einen förmlichen Antrag nach dem Bundesverfassungsgesetz gestellt.
Wielange hat es gedauert, bis der Verfassungsschutz geantwortet hat?
Etwa sechs Monate.
Was haben die Staatsschützer ihnen geschrieben?
Der Verfassungsschutz hat mir einen dreiseitigen Brief geschickt, in dem aufgelistet wurde, welche „Sünden“ mir seit 1970 vorgeworfen werden.
Und was haben Sie nach Meinung des Verfassungsschutzes angestellt?
Interviews gegeben und Artikel in Zeitschriften veröffentlicht, die nach Ansicht des Verfassungsschutzes als „linksextremistisch oder als linksextremistisch“ beeinflußt gelten. Der Verfassungsschutz legt das ja nach eigener Definition fest.
Haben die Verfassungsschützer nur ihre Artikel ausgeschnitten oder haben sie auch ihre Telefonate abgehört?
Das kann ich leider nicht sagen, weil der Verfassungsschutz nicht verpflichtet ist, mir darüber Auskunft zu geben. Selbst der Bundesdatenschutzbeauftragte hat mir in einem Schreiben mitgeteilt, daß er mir aus Gründen des Quellenschutzes keine detaillierte Auskunft geben könne. Quellen können unter anderem V-Leute, verdeckte Ermittler und technische Überwachungsmöglichkeiten sein.
Und was ist das für ein Gefühl, wenn man glaubt, daß Telefonate abgehört werden?
In der Hektik des Alltags vergißt man das.
Sie haben aber drei Berufe, in denen Vertraulichkeit das A & O ist.
Richtig, als Anwalt bin ich gegenüber den Mandanten zur Vertraulichkeit verpflichtet. Als Publizist ist der Informantenschutz unerläßlich. Und auch im Landtag dürfen die Abgeordneten nicht staatlich überwacht werden. All das ist nicht mehr gewährleistet.
Aber dann können Sie ihre Berufe nicht mehr ausüben?
Ich mache trotzdem weiter, und ich gehe in die Öffentlichkeit, damit solche Machenschaften publik werden.
Werden Sie auch auf Veranstaltungen beobachtet?
Ja. Ich mache sehr viele Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet, und ich gehe grundsätzlich davon aus, daß die Herren vom Verfassungsschutz zuhören. Aber das, was ich zu sagen habe, können sie gerne hören. Vor allem, wenn ich die Abschaffung der Geheimdienste fordere. Geheimdienste sind Gift für eine funktionierende Demokratie.
Fragen: Kerstin Schneider
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