: Rückerstattung per Gerichtsbeschluß
Das tschechische Verfassungsgericht macht in einem Fall eine Enteignung auf der Grundlage der Beneš-Dekrete rückgängig. Grundsätzlich in Frage gestellt sind die umstrittenen Dekrete damit aber nicht ■ Aus Prag Ulrike Braun
Das tschechische Verfassungsgericht hat am Dienstag entschieden, Eigentum, das unter den sogenannten Beneš-Dekreten enteignet wurde, rückzuerstatten. Ein Präzedenzfall, der vertriebenen Sudetendeutschen ermöglicht, ehemaligen Besitz zurückzuerhalten? Kaum, die Kläger waren Tschechen, der Fall bezieht sich auf einen Mißbrauch der Dekrete.
Alois Pirkl war Zeit seines Lebens tschechischer Patriot. Trotzdem wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg durch die sogenannten Beneš-Dekrete enteignet, für seine Nachkommen ein um so größeres Ärgernis, weil auch die samtene Revolution denen nicht verzeihen wollte, die die Dekrete zu „staatlich unzuverlässigen Personen“ abstempelte: Laut Restitutionsgesetz gilt als Stichtag der 31. Januar 1948. Wer vorher enteignet wurde, hat Pech gehabt oder war selber schuld. Alois Pirkl hatte Pech, er gehörte zur tschechischen Minderheit im Sudetenland und mußte sich nach dem Münchener Abkommen 1938 zwangsweise zur deutschen Nationalität bekennen.
Die Beneš-Dekrete sind bis heute der tiefste Stachel im Verhältnis zwischen der Tschechien und Deutschland. 1945/46 bildeten die Dekrete die gesetzliche Grundlage zur Enteignung und Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. „Das im Gebiete der Tschechoslowakei befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen“ bestimmte Präsident Beneš am 19. Mai 1945, „wird gemäß den weiteren Bestimmungen dieses Dekrets unter nationale Verwaltung gestellt (...) Als staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen: Personen deutscher oder madjarischer Nationalität.“ Kollektiv hätten die Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien die Tschechoslowakei 1938 Hitler ausgeliefert, kollektiv sollten sie ihren Verrat ausbaden, so der Gedanke. Zu einer richtigen Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen könne es nur dann kommen, wettert vor allem die Sudetendeutsche Landsmannschaft, wenn Tschechien die Beneš-Dekrete ein und allemal für null und nichtig erklären würde.
Unter dem Volkszorn mußte Alois Pirkl zwar nicht leiden, seine zehn Hektar Feld und Wald wurden konfisziert und blieben es auch, obwohl Pirkl noch vor seinem Tod bestätigt bekam, daß er aus Existenznot zu den Deutschen stieß. Wenn die Ehre des Großvaters schon damals wiederhergestellt war, warum auch nicht sein Gut, fragte sich Pirkls Enkelin Marie Severová und klagte auf Rückerstattung seines Eigentums.
Das Verfassungsgericht gab ihr recht: „Tschechen und Slowaken, die sich zwangsweise zur deutschen oder ungarischen Nationalität bekannten, sollten so betrachtet werden, als ob sie ihr ursprüngliche Staatsbürgerschaft überhaupt nicht eingebüßt hatten“, begründete das Gericht. Die Wälder und Wiesen des Großvaters kann Severová heute nicht zurückbekommen. Konfisziertes Eigentum wurde nach dem Krieg anderen zugeteilt, diese wurden nach der Machtübernahme der Kommunisten Anfang 1948 enteignet, erhielten ihren Besitz laut Restitutionsgesetz von 1991 zurück. Nochmals enteignen wäre unmöglich, daher muß sich Severová mit anderen Ländereien begnügen. Vertriebene Sudetendeutsche und deren Nachkommen brauchen nicht den Atem anzuhalten: „Unsere Entscheidung hat keinen Einfluß auf die Gültigkeit der Dekrete als solche“, so das Gericht.
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