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Workshop für Folterknechte

Mad Max, Folge 10: Unter dem Titel „Goya“ schlägt Johann Kresnik an der Volksbühne ein weiteres Kapitel seines Pandämoniums menschlicher Bestien auf  ■ Von Katrin Bettina Müller

Henkersknechte sind sie alle. Mit einer Axt und einem Hackklotz, der bald zum Richtblock wird, hat Johann Kresnik in seinem Stück über Goya und die Grausamkeit der spanischen Inquisition gleich im ersten Bild jedes Ensemblemitglied ausgestattet. Da hocken sie nun wie Gnome auf den Pflöcken und pendeln sachte mit der Axt, bis sie, krawumm!, zum Schlag ausholen. Mächtig dröhnt der Bühnenboden, präpariert als ein Verstärker, der das ganze Haus erzittern läßt. Schon wankt das erste potentielle Opfer heran, ein Zwitterwesen mit Bart und blonden Haaren, das sich bald todessüchtig unter die Äxte legt.

Da wird nicht lange gefackelt oder motiviert, sondern wie im Splatterfilm der kürzeste Weg zum Wahnsinn gesucht. Der Protagonist ist schon nach wenigen Bildern nur noch ein zitterndes Häuflein Mensch, ans Kreuz geschlagen, auf den Kopf gestellt, mit heißem Wachs beträufelt und mit dem infernalischen Lärm von Bohrmaschinen, die über Metallplatten schrappen, gefoltert (und wir mit ihm). Damit er diese fortgesetzte Passion auch über 20 Szenen hinweg aushalten kann, ist seine Rolle unter fünf Tänzern aufgeteilt. Gegenspieler hat er keine. Ihm gegenüber steht nur die Gruppe, die Hofgesellschaft, Inquisition und unterdrücktes Volk spielt.

Am meisten Phantasie scheinen Kresnik und sein Komponist Serge Weber in die Kunst des Krachmachens gesteckt zu haben. Ein Cembalist, der am Bühnenrand zugleich die Rolle eines Zeremonienmeisters übernimmt, schraubt und sägt auf den Saiten seines Instruments, kratzt mit den Fingern an einer Glocke und zückt gelegentlich die Axt. Am gemeinsten ist die Kombination von Axt und Nagelbrett, die gleich bis in die Nerven der Zähne dringt. Ob Heavy- Metal-Fans so etwas zu schätzen wissen?

Auch das Bühnenbild erzeugt gelegentlich die Vorstellung, sich in Mad Max, Folge 10, zu befinden. Etwa in der Stierkampfszene, wenn ein Tierschädel, aus dessen gigantischen Hörnern es bedrohlich zischt, auf der Motorhaube eines Trabis rund um die Bühne geschoben wurde. Die Tänzer, die hinter dieser Schubkarre im Pulk herjagen, machen mehr den Eindruck aufgescheuchter Statisten, denen der Regisseur zuruft: „Seid wild, wild!“, als von irgendeiner anderen Notwendigkeit bewegt.

„Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ lautet der Untertitel des choreographischen Theaters nach einer berühmten Radierung Goyas, der damit die Ambivalenz der Aufklärung in ein Bild faßte. Doch das Stück kennt keinen Schlaf, sondern nur die Exaltation, und keine Vernunft, sondern nur Ungeheuer. In der Karikatur und der Travestie ersticken die gegensätzlichen Pole, die den Konflikt von Goyas Leben zwischen der höfischen Kultur und der Suche nach Wahrheit ausmachten. Die Ideale von Schönheit, Anmut und Leichtigkeit, die er als junger Hofmaler pflegte, büßten mit der Französischen Revolution ihre Allgemeingültigkeit ein. Sie wurden zu einer Frage der Klassenzugehörigkeit. Die Chance, diesen Bruch eines Weltbildes durch eine Differenzierung der Bewegungssprache nachzuvollziehen, ergreift Kresnik nicht.

Ein Stück über die „Angst vor politischer Unterdrückung, Angst vor der Freiheit“ und „Angst vor dem Ausbruch aus Konventionen“ will „Goya“ sein. Doch der Aufwand der Angsterzeugung kippt ins Alberne um, und man leidet nicht mit den Figuren, sondern mit den Darstellern des Malers, wenn er mit toten Kaninchen beworfen wird und sich wie ein Fakir unters Nagelbrett legen muß. Zwar finden sich in den Requisiten der Foltermethoden Details von Goyas Radierungen wieder, doch an die Bildermacht der „Caprichos“ und „Desastres“ reichen die Szenen nie heran.

Im 18. Jahrhundert war der Einbruch des Häßlichen in die Kunst ein Schock, dessen Ausmaß kaum noch vorstellbar ist. Goya, der schon über fünfzig Jahre alt war, als er diesen Weg zu gehen wagte, wählte für seine satirischen Attacken auf die Mißstände des Adels zwar das graphische Medium, zog die Druckplatten aber bald zurück und schenkte sie dem König. Von seinem radikalen Wechsel der Perspektive und seinem Mut zu erzählen gelingt dem Stück nicht, weil es gleich auf der Seite der Schrecken zu Hause ist. Deshalb gibt es weder Entwicklung noch Spannung.

Weitere Aufführungen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: 23. u. 29. Januar, 7., 19. u. 26. Februar, jeweils 19.30 Uhr

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