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■ Der Übertritt Mordechais bringt Netanjahu in BedrängnisDer Wahlausgang ist offener denn je

Der Stern ist abgestürzt. Und ein neuer aufgegangen, an Israels politischem Himmel. Nur kurze Zeit konnte der vermeintliche Superkandidat und große Versöhner Amnon Lipkin-Schahak das israelische Wahlvolk bei Laune halten. Dann hat ihn ein anderer Generalmajor abgelöst. Jitzhak Mordechai ist per Umfrage schon zum Ministerpräsidentenkandidaten gekürt worden. Der bislang populärste Politiker Israels könnte zum großen Herausforderer des amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu werden. Doch noch sind es vier Monate bis zu den Wahlen. Und ein programmatisch stabiles Programm kann die Zentrumspartei nicht vorweisen. Bis jetzt dreht sich bei den Auseinandersetzungen alles lediglich um Personen. Niemand wagt vorauszusagen, daß es in den kommenden Monaten nicht auch zu schwerwiegenden politischen und ideologischen Zerwürfnissen in der Zentrumspartei kommt.

Zweifellos hat Netanjahu mit dem Abgang von Mordechai eine empfindliche Niederlage erlitten. Bis zuletzt hatte er um das Verbleiben Mordechais im Likud gebuhlt. Doch Netanjahu ist viel zu sehr Machtpolitiker, als daß er sich von dieser Entscheidung und dieser Niederlage wirklich würde beeindrucken lassen. Es wird seine Kämpferqualitäten herausfordern. Und er wird nichts unversucht lassen, um dem „Verräter“ Mordechai ans Bein zu pinkeln. Drei Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten und knapp vierzig Parteien für die Knesset. Im nächsten israelischen Parlament dürfte das blanke Chaos herrschen. Wer da eine Koalition zusammenzimmern will, braucht mehr als nur Fingerspitzengefühl. Vieles deutet darauf hin, daß nur eine große Koalition zwischen Likud und der Arbeitspartei denkbar ist. Denn trotz Mordechais Übertritt werden der Zentrumspartei nicht mehr als 10 bis 15 Abgeordnete zugetraut, gut die Hälfte der Sitze, die die großen Parteien sich derzeit ausrechnen.

Mordechai hat letztlich den Versprechungen Netanjahus nicht mehr glauben wollen. Ob er seine Ambitionen nicht überzogen hat, wird sich erst am Wahltag erweisen. Zwar hat er die Unterstützung der US- Regierung, die in ihm eine veritable Alternative zu Netanjahu sehen möchte. Doch auch Netanjahus Popularität beim einfachen Volk ist alles andere als gebrochen. Daß er seine Politikerkollegen auch mal über den Tisch zieht, wird ihm auf den Märkten von Tel Aviv und Jerusalem als Cleverneß ausgelegt, die ihresgleichen erst suchen muß.

Mordechai kann einen beträchtlichen Stimmenblock der sephardischen Juden reklamieren und mobilisieren. Doch ob diese wirklich glücklich sind über Mordechais Übertritt zu einer aschkenasisch dominierten, elitären Partei bleibt die Frage. Nur eines scheint sicher: Der Wahlausgang in Israel ist weniger vorhersehbar als je zuvor. Nicht zuletzt dank Mordechai. Georg Baltissen

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