: Die christdemokratische Illusion
■ Die Unterschriftenkampagne der Union gegen die doppelte Staatsangehörigkeit ist falsch. Und sie hilft nur einem: Edmund Stoiber
Es gibt eine gewisse Tradition in der CDU, parteischädigendes Verhalten vom Parteivorstand beschließen zu lassen. Die Kampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ist dumm, weil sie auf Dummheit setzt. Arglos wird beteuert, Greenpeace und amnesty international sammelten schließlich auch Unterschriften. Das stimmt, und oft genug sammeln Christdemokraten dabei mit. Doch nie werden dabei Gefühle addiert, die die Würde von Menschen verletzt, die mit der Forderung nach doppelter Staatsbürgerschaft die Sehnsucht nach politischer Zuwendung in einer komplizierten Lebenslage zum Ausdruck bringen.
Wahrscheinlich ist die doppelte Staatsbürgerschaft nur für einen begrenzten Kreis – nämlich für Ausländer der ersten, also der Einwanderergeneration und für hier geborene Kinder von Ausländern – hilfreich. Ansonsten drückt die doppelte Staatsbürgerschaft eher einen Vorbehalt des Staates gegen die volle Integration aus, wie sie Einwanderergesellschaften anstreben sollten. Insofern ist das Schily- Konzept wohl zu pauschal.
Darüber könnte man trefflich politisch streiten, zumal ausländerpolitische Pragmatiker auf beiden Seiten, bei der CDU und bei den Grünen, beheimatet sind. Die Unterschriftenkampagne der CDU ist freilich eine Instrumentierung, die alle programmatischen Akkorde übertönt. Im von Jürgen Rüttgers eilends drumherumformulierten Integrationskonzept stehen zwar eine Menge vernünftige Dinge. Die Tatsache, daß die Forderungen nach staatlichem islamischem Religionsunterricht, nach Einbürgerungszusicherung für Ausländerkinder und nach mehr Geld für Sprachunterricht im CDU-Bundesvorstand anstandslos gebilligt wurden, zeigt, daß man diesem Katalog keinerlei Bedeutung beimißt. Genausogut könnte man einen Schweinsbraten als vegetarisches Gericht auf die Speisekarte setzen, weil er mit gemischtem Salat serviert wird.
Gäbe es nicht die Unterschriftensammlung, wäre das Konzept des Bundesvorstands der beste ausländerpolitische Beschluß der Union seit Jahren – was nach jahrelanger Ignoranz freilich keine Kunst ist. So aber führt kein Weg daran vorbei: Wer seine Unterschrift hergibt, unterschreibt nicht das Kleingedruckte, sondern das Fettgedruckte, und das heißt: „Keine weiteren Zugeständnisse an Ausländer.“ Die doppelte Staatsbürgerschaft ist dafür nur eine Chiffre. Die CDU-Führung sieht das übrigens genauso. Man begann bereits Unterschriften zu sammeln, als außer der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft kein weiterer Punkt des Integrationskonzepts feststand.
Die CDU lebt seit vielen Jahren in der Illusion, die Ablehnung ungezügelter Einwanderung mache die Formulierung einer darüber hinausgehenden Ausländerpolitik hinfällig. Oder umgekehrt: Wer eine Politik betreibe, die die Integration erleichtert, bereite in Wahrheit bereits den Boden für die nächste Einwanderungswelle. Aber während derjenige, der für schrankenlose Zuwanderung ist, in Wirklichkeit keine Einwanderungspolitik formulieren muß, weil in klassischen Einwanderungsländern der Tüchtige selbst seine Eingliederung erreicht, braucht gerade Deutschland als erklärtes Nicht-Einwanderungsland eine Konzeption, ob und wie es Ausländer eingliedern will.
Die CDU hat andererseits lange mit kompetenten und glaubwürdigen Politikern (von Geißler über Gerster bis Rommel) eine pragmatische Ausländerpolitik praktiziert. Die Partei stand zwar nie an der Spitze der Emanzipationsbewegung von Zuwanderern, aber sie sicherte so bestimmten rechtlichen Neuregelungen die Mehrheitsfähigkeit und damit die gesellschaftliche Akzeptanz, und dies ist schließlich auch die Aufgabe der Volkspartei CDU.
Merkwürdigerweise mutet die CDU den Bürgern die Folgen der Globalisierung fast bedingungslos zu, wo es um deren wirtschaftliche Auswirkungen geht. Statt dessen führt sie einen aussichtslosen Kampf gegen die Globalisierung, wo diese sich gesellschaftspolitisch niederschlägt.
Die CDU hat es so versäumt, unbeschadet ihrer ablehnenden Haltung zu weiterer Zuwanderung, die gesellschaftliche Realität in für die Betroffenen würdiger Form rechtlich neu zu regeln. Selbst wer es für unerfreulich hält, daß eine signifikante Anzahl früherer „Gastarbeiter“ ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt in westdeutschen Großstädten gefunden hat, sollte zumindest nicht den – in Deutschland geborenen – Kindern die Integration durch fehlende oder verfehlte Gesetze erschweren. Natürlich hätte es bessere Regelungen gegeben als die jetzt von Rot-Grün hastig gezimmerte, aber man hätte sie dann eben auch rechtzeitig gestalten müssen.
Bei den Ausländern hat die Attitüde geringschätzender Duldung seitens der CDU eine Art inverse Missionierung bewirkt. Anders ist kaum zu erklären, warum Türken, Kroaten oder Italiener, die in ihren Herkunftsländern in beachtlichem Ausmaß konservative, die Familien stützende, wirtschaftsliberale Parteien wählen, in Deutschland auf einmal zu Anhängern von Rot- Grün werden sollen. Es sei denn, die CDU weigert sich konsequent, ihre Interessen wahrzunehmen (im doppelten Sinne des Wortes).
Nun denn, wenn denn die Unterschriftenaktion schon pfundweise Parteiseele verkauft, vielleicht gewinnen die Strategen wenigstens ein hessisches Linsengericht. Aber auch das könnte täuschen. Ein eventueller Stimmengewinn bei der hessischen Landtagswahl könnte allein auf die Mobilisierung der Stammwähler zurückzuführen sein. Für die Mehrheit im Bund wäre das bei prinzipiell höherer Wahlbeteiligung ein Muster ohne Wert. Im ideologischen Zaumzeug von Leuten, die der CDU unverdrossen empfehlen, sich nicht zu sozialdemokratisieren und vor allem ihre Stammwählerschaft zu pflegen, ist die CDU von einer Partei, die die absolute Mehrheit streifte, zu einer Drittelpartei verrottet. Welche Wechselwähler wird die CDU mit der Unterschriftenaktion für sich (zurück-)erobern?
Das sind Fragen, die man sich in Bayern nicht zu stellen braucht. Egal, wie viele Unterschriften die CDU sammelt, die CSU wird viel, viel mehr sammeln. Relativ, vielleicht sogar absolut. Das beantwortet auch Fragen, die auf den Unterschriftenlisten gar nicht gestellt werden, zum Beispiel wer Kanzlerkandidat der Union werden soll. Da geht es um Kampagnefähigkeit und Mobilisierungskraft. Stoiber sammelt Unterschriften gegen Schäuble. Und Schäuble sammelt mit. Markus Schubert
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