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Gedenken ist gut, vertagen besser

Die Gedenkstätte der Kinder vom Bullenhuser Damm „ist auf Dauer gesichert“, behauptete der Senat 1994. Seitdem tat sich nichts mehr  ■ Von Karin Flothmann

Der Satz liest sich gut: „Der Senat“, so steht da schwarz auf weiß, „hat dafür gesorgt, daß die Gedenkstätte für die Kinder am Bullenhuser Damm auf Dauer gesichert ist.“ Die Zuständigkeit, heißt es weiter, „wird in vollem Umfang auf die Kulturbehörde übertragen“. Eine gute Nachricht, möchte man meinen. Doch die Zukunft der kleinen Gedenkstätte, die daran erinnert, daß hier im April 1945 zwanzig jüdische Kinder von der SS ermordet wurden, ist keinesfalls „auf Dauer gesichert“ (taz berichtete). Die Drucksache der Bürgerschaft, in der das Gegenteil kundgetan wird, stammt aus dem Jahr 1994.

Seither ist nichts geschehen. „Damals“, rechtfertigt sich Kulturbehördensprecher Ingo Mix, „gab es unterschiedliche Auffassungen über die Darstellung der Rolle der Hamburger Justiz.“ Denn die Ausstellung, die im Keller der ehemaligen Schule am Bullenhuser Damm gezeigt wird, beschreibt nicht nur den Leidensweg der erhängten Kinder, sie erzählt auch vom Umgang mit den Mördern.

Einer von ihnen, der SS-Ober-sturmführer Arnold Strippel, kam in den 60er Jahren ungeschoren davon. Damals stellte der Hamburger Staatsanwalt Helmut Münzberg seine Ermittlungen gegen Strippel aus Mangel an Beweisen ein. Die Morde seien zwar „heimtückisch“ ausgeführt worden, aber juristisch nicht als „grausam“ zu bewerten. Immerhin hatte ein SS-Arzt den Kindern, eine Morphiumspritze gegeben, bevor sie erhängt wurden. Münzberg kam zu dem Schluß, den Kindern sei „also über die Vernichtung ihres Lebens hinaus kein weiteres Übel zugefügt worden“.

Dieses Zitat ist weiterhin in der Ausstellung zu lesen – obwohl die Justizbehörde 1995 darauf bestand, es ersatzlos zu streichen. „Die Justizbehörde hat damals darauf hingewiesen, daß Texte in der Ausstellung nicht korrekt waren“, erklärt Kulturbehördensprecher Mix. Der Dissenz sei jedoch bereinigt, Teile der Ausstellung seien umgestaltet worden.

Dennoch sorgte die Kulturbehörde nicht für klare Verhältnisse. Verantwortlich für die Gedenkstätte ist immer noch die „Vereinigung der Kinder vom Bullenhuser Damm“, ein Zusammenschluß von Angehörigen der Ermordeten. Dies habe sich halt „bis Ende letzten Jahres bewährt“, sagt Mix. Seit Anfang des Jahres steht das Haus am Bullenhuser Damm leer. Die Gedenkstätte, so erklärte gestern die Vereinigung, „ist praktisch geschlossen“.

GAL und SPD wollen es dabei nicht bewenden lassen. Auf Initiative der Grünen stellten beide Fraktionen gestern einen Antrag an den Hamburger Senat. Der wird ersucht, möglichst umgehend für „geregelte Öffnungszeiten“ und eine „gesicherte finanzielle Grundlage“ der Gedenkstätte am Bullenhuser Damm zu sorgen.

Berichte zum heutigen Holocaust-Gedenktag auf S. 22

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