Hilfsfonds für Zwangsarbeiter: Besuchsprogramm blanker Zynismus
■ Bremen schafft einen Hilfsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter
Noch in diesem Jahr wird es einen Hilfsfonds geben, aus dem ehemaligen Bremer Zwangsarbeitern Besuche der Hansestadt und kleine humanitäre Hilfen bezahlt werden. Über diese Ankündigung des Bremer Senats sprach die taz mit Klaus von Münchhausen, Bremer Uni-Dozent und Rechtsbeistand von Naziopfern aus aller Welt (siehe nebenstehendes Porträt):
taz: Freuen Sie sich über den von Bremens Staatsrat Arnold Knigge angekündigten Hilfsfonds für Naziopfer, die als Zwangsarbeiter nach Bremen gekommen waren?
Klaus von Münchhausen: Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge, weil diese Entscheidung schon vor zehn Jahren hätte gefällt werden können. Damals sind diese Anträge von mir als Einzelperson und von den Bremer Grünen formuliert worden.
Wieso ist das jetzt wichtig?
Vor zehn Jahren hätte man noch sehr viel mehr lebende Menschen erreicht, denen diese finanzielle Geste materiell und seelisch geholfen hätte.
Der jetzige Hilfsfond durch den Bremer Senat soll großteils für die Finanzierung eines Bremen-Besuchsprogramms verwendet werden. Was halten Sie davon?
Wenn der Schwerpunkt weiterhin auf einem Besuchsprogramm für die ehemaligen Zwangsarbeiter liegt, dann wäre das blanker Zynismus. Die Leute wollen keine Besuche haben, sondern haben einfach ein Recht auf Lohnzahlungen für die Arbeit, die sie damals geleistet haben. Das Geld muß in die Hände derer, die tatsächlich die Hilfe brauchen. Die Leute werden immer älter, und ich habe gerade letzte Woche in Prag eine Gruppe von tschechischen Freiheitskämpferinnen getroffen, die in Ravensbrück für Siemens gearbeitet haben. Denen fehlt das Geld für den Zahnarzt.
Für jede Mark, die ein Bremer Unternehmer in den Fonds einzahlt, legt der Bremer Senat eine Mark drauf. Ohne das Geld aus der Industrie also auch kein Geld von der öffentlichen Hand. Wer müßte zahlen?
Im Staatsarchiv liegen die Unterlagen, wer damals in Bremen Zwangsarbeiter beschäftigte. Borgward gehörte dazu – aber fast alle Bremer Firmen haben profitiert.
In einer weitergehenden Stiftung will Bremen sich erstmal nicht engagieren, hieß es am Dienstag in der Antwort auf die Anfrage der Grünen.
In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung in Bonn ist festgehalten, daß eine Bundesstiftung eingerichtet wird. Und wenn das hier in Bremen eine Extratour ist, dann wäre das fatal. Selbst VW und Siemens, die jetzt schon Entschädigungen zahlen, sind bereit, sich später an der Bundesstiftung zu beteiligen. Was Bremen tut, kann nur eine Vorstufe sein.
Noch läuft in Bremen ein Rechtsstreit, also eine Klage auf Entschädigung.
Ja, der geht in absehbarer Zeit in die mündliche Verhandlung. Staatsrat Knigge soll angeblich gesagt haben, daß das durch alle Instanzen gehen würde. Bis zum Bundesgerichtshof. Aber es ist mir im Dezember von Kanzleramtsminister Hombach ausgerichtet worden, daß man mit der Entwicklung der Bundesstiftung auf einen Vergleich abziele, um einen Rechtsfrieden herzustellen. Die Ansichten von Herrn Knigge sind also sachlich falsch.
Bundesstiftung also statt individueller Rechtsanspruch?
Auf Grund des hohen Alters der Kläger halte ich das für unabdinglich, damit die Menschen so schnell wie möglich zu ihrem Geld kommen.
Fragen: Fritz v. Klinggräff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen