: Islamisierung mit Hindernissen in Tschetschenien
■ Über den richtigen Weg zu einem islamischen Staat streiten die politischen Rivalen vor Gericht
Berlin (taz) – Mit einem Knalleffekt begann das politische Jahr 1999 in Tschetschenien. Zunächst explodierte am 5. Januar in Gudermes, östlich der Hauptstadt Dschohar-Qala (früher Grosny), eine Bombe und verletzte den stellvertretenden Kommandeur der tschetschenischen Nationalgarde, General Salim Jamadajew. In dieser Gegend hatte er im vergangenen Juli Regierungstruppen im Kampf gegen das sogenannte Islamische Spezialeinsatzregiment und die „Scharia-Garde“ befehligt, zwei mit Präsident Aslan Maschadow rivalisierende Machtapparate.
Maschadow zufolge würden sie finanziell von ungenannten arabischen Staaten unterstützt. Sein darauf erlassenes Verbot des „Wahhabismus“ – in Rußland, dem Kaukasus und Mittelasien der gebräuchliche Begriff für islamische Fundamentalisten – und die Ausweisung aller seit dem Krieg gegen Rußland in der Republik verbliebenen arabischen Freiwilligen blieb aber bis heute unerfüllt.
Unlängst verkündete Maschadow dann die Bildung einer Kommission, die innerhalb von drei Jahren „ein Konzept für einen islamischen Staat und eine neue Verfassung, basierend auf dem Koran“, vorlegen soll. Diese Maßnahme bildet einen wichtigen Schritt zur Verwirklichung der von Maschadow lange angekündigten Islamisierung des Landes. In der vergangenen Woche ernannte Maschadow außerdem einen „Scharia-Sicherheitsminister“.
Wie die Islamisierung genau ablaufen soll, ist allerdings zwischen den verschiedenen tschetschenischen Fraktionen umstritten. Die Auseinandersetzung darum wird derzeit auch nach amerikanischem Vorbild geführt: Der frühere Premier Schamil Bassajew und zwei weitere Warlords haben bereits im Dezember beim Obersten Islamischen Gericht Tschetescheniens ein Impeachment-Verfahren gegen Präsident Maschadow wegen Verfassungbruchs eingeleitet. Als das Gericht den Antrag ablehnte, zog Bassajew vor zwei Wochen vor die Presse und erklärte diesen Spruch für „ungültig“, weil Maschadow dessen Text vor der Veröffentlichung verändert habe. Außerdem hatte Bassajew plötzlich herausgefunden, daß dieses Scharia-Gericht überhaupt illegal eingerichtet worden sei – durch Maschadow, der dazu laut Verfassung nicht befugt sei. Jetzt möchte Bassajew, daß ein neuer Gerichthof eingerichtet und der „Fall Maschadow“ noch einmal behandelt wird.
Maschadow drehte den Spieß um und strengte seinerseits ein Verfahren wegen Verleumdung gegen Bassajew beim Scharia-Gerichtshof an. Der habe 1998 mehrmals für Maschadow beleidigende Erklärungen abgegeben.
Der Scharia-Gerichtshof sorgte neben der Zurückweisung des Bassajew-Antrags noch für eine Stärkung des Maschadow-Lagers. Er suspendierte gleich noch das Parlament. Das hatte sich der Idee Maschadows widersetzt, Tausende Reservisten des Krieges gegen Rußland für den Kampf gegen die „Kriminalität“ – sprich: die Wahhabiten bzw. die Gegner des Präsidenten – zu mobilisieren. Zudem setzte es Parlamentssprecher Ruslan Alichadschijew ab und übertrug alle Vollmachten an den Staatlichen Religiösen Rat. Vizepräsident Wacha Arsanow hatte zuvor angeregt, den Präsidenten zum Imam zu ernennen und das Land in einen islamischen Staat zu verwandeln. Maschadow hatte dies zwar abgelehnt, kam mit der Einsetzung der Verfassungskommission jedoch dem Druck der Radikalen in seinem Lager entgegen.
Daß auf dem Weg zum islamischen Staat nicht alles glattgeht, zeigt eine weitere Entscheidung des Scharia-Gerichtshofes vom 24. Dezember. Er entzog Maschadows Frau den Vorsitz der „Marscho“- Wohltätigkeitsstiftung mit der Begründung, eine Frau sollte keine einflußreiche Funktion bekleiden. Maschadow unterwarf sich, löste die Stiftung am 3. Januar aber ganz auf. Thomas Ruttig
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