: Der Eros der Avantgarde
Das Hebbel-Theater feiert: Zehn Jahre neue Musik, Tanz und permanentes Experimentieren sind überstanden ■ Von Katrin Bettina Müller
Drei Tage lang feiert das Hebbel-Theater sein 10jähriges Bestehen. Wenn Nele Hertling, die Intendantin, zurückblickt, staunt sie über die vergangene Zeit. „Wir haben das Gefühl, immer noch am Anfang zu stehen. Denn die Öffnung in eine andere Theater-Welt könnte noch viel weiter gehen.“
Das Stammpublikum beschleicht hingegen gelegentlich das Gefühl, mit dem Hebbel gereift zu sein und auf eine Geschichte gewordene Avantgarde zurückzublicken. Die Zeit der großen Aufbrüche ist vorbei. Immer häufiger läßt der pädagogische Eros der Kunst seine nackten Ambitionen sehen und erteilt Nachhilfeunterricht in Sachen Moderne. Wenn Meredith Monk in einem Konzert 1998 chronologisch von ihren Expeditionen durch die Welt der Töne und Stimmen erzählte, freute man sich zwar, bei dieser akustischen Rückkehr in die Wüsten Arizonas dabei zu sein, und spürte doch zugleich den zeitlichen Abstand von der Entdeckerfreude der Stimm-Pionierin.
Als großes Risiko galt 1989 die Wiedereröffnung der alten Bühne in der Stresemannstraße ohne eigenes Ensemble. Das Konzept eines Gastspielhauses für fremdsprachiges Theater, neue Musik, zeitgenössischen Tanz und die Grenzen der Kunstsparten überwindende Programme wurde von einem Hunger der noch ummauerten Stadt Berlin angetrieben, über die Grenzen der Stadt hinauszugelangen. In den Festjahren 1987 und 1988, als Berlin erst seine 750jährige Geschichte feierte und dann als Kulturstadt Europas auftrat, unterstützte der damalige Kultursenator Volker Hassemer Hertling in ihrem Bemühen, aus den Festivaltöpfen Austauschprogramme für die Tanzszene zu organisieren. Das Programm des Hebbel wuchs aus dieser Festivalstruktur, die dem Haus den großen Druck hinterlassen hat, immer Neues für Berlin heranzuschaffen.
Der Druck, immer Neues heranzuschaffen
Aber „neu und jung ist kein Kriterium an sich“, weiß die Intendantin. Weil sie versucht, Kontinuität zu ermöglichen und frei produzierenden Gruppen die Treue zu halten, ist sie in die Kritik geraten. Besonders der Tanz-Winter mit Compagnien aus Frankreich und Spanien schleppt sich matt dahin.
Fest hält das Hebbel auch an einer Generation von Tänzern wie Gerhard Bohner, Urs Dietrich, Susanne Linke und Reinhild Hoffmann, die den Aufbruch zu neuen Tanzformen vor zwei Jahrzehnten und mehr mit einem aufreibenden Kampf an der kulturpolitischen Front bezahlten. „Das muß wieder gezeigt werden als etwas Erkämpftes und Erreichtes, an dem sich Nachfolgende reiben müssen“, ist die Theaterchefin überzeugt. Deshalb hat sie die beiden Choreographinnen Linke und Hoffmann eingeladen, ihre Geschichte in einem Stück zu verarbeiten.
„Als wir hier anfingen“, erinnert sich Nele Hertling, „war ein Fußgänger auf der Stresemannstraße eine Seltenheit.“ Denn das schöne Kreuzberger Theater, das 1908 mit Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“ eröffnet worden war, lag zwischen Mauer und neuen Wohnburgen in einer wenig belebten Gegend. Das Haus selbst hatte als Privat- und Tourneetheater an Bedeutung verloren. Baulich heruntergekommen, wurde schon der Abriß des intimen Saals mit 600 Plätzen und steilen Rängen erwogen, als sich der Senat zu einer Renovierung entschloß.
Die nicht einfache Aufgabe, in dieser städtischen Randlage ein neues Publikum zu gewinnen, vereinfachte sich schlagartig mit dem Fall der Mauer. „Da waren wir plötzlich mitten in der Stadt und haben uns schnell in den Osten eingeklingt und stießen auf großes Interesse an zeitgenössischem Tanz und Musiktheater.“
Von Anfang an fand im Hebbel eine Bühne, was als „schwierig“ im doppelten Sinne galt: Nicht einfach zu verstehen und ideologisch immer gut für einen Streit. Dazu gehören die Inszenierungen von Robert Wilson und Jan Fabre, die das Publikum in Ästheten des Kunst- ereignisses und pingelige Inhaltssucher polarisieren. Dazu gehört auch die Inszenierungen von Hans Jürgen Syberberg, der, fast immer im Gespann mit Edith Clever, in deutscher Mentalitätsgeschichte gräbt. Zuletzt wagte man sich auf das glatte Eis zwischen spektakulären Gesten und der Suche nach einer neuen Katharsis: Da ließen die Konzeptkünstler Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz die „Ermittlung“ von Peter Weiss von den Zuschauern selbst lesen.
Experimente können auch schiefgehen: Dann leidet im Hebbel das Publikum mit den Programmgestaltern, wenn das auf fernen Reisen aufregend Anmutende, auf die heimische Bühne gebracht, bloß noch skurril ist. So ging es mit Carmelo Bene, Veteran der italienischen Sponti-Artaud- Theater-Szene, der seinen Macbeth grunzend und schwitzend durchlebte. Angekündigt wie ein jedermann ergreifendes Naturereignis, mußte man in der Vorstellung feststellen, daß dieser Sturm nur auf Italienisch zu verstehen war.
Doch für die schlimmstenfalls merkwürdigen Abende entschädigen Aufführungen, die in ihrer Lebenslust und Dynamik noch lange nachhallen, wie die von den Choreographen Alain Platel und Saburo Teshigawara. Ohne die Vermittlung des Hebbels wären auch die Gastspiele des Nederlands Dans Theaters in den Opernhäusern und von Pina Bausch in der Volksbühne nicht zustande gekommen.
Ziel war für Nele Hertling nie allein die Profilierung des Hebbel- Theaters, sondern der Kunstszene der Stadt Impulse zu stiften. Dafür reist sie mit ihrer langjährigen Mitarbeiterin Maria Schwaegermann unentwegt herum. Ganz zufrieden mit den Ergebnissen ist sie nicht: Besonders mit Blick auf den Tanz muß sie feststellen, daß zwar „eine breite Szene entstanden ist, aus der allerdings wenig Repräsentatives herauswächst.“
Im aktuellen Spielplan springen viele spielfreie Tage und ein langes Gastspiel der Geschwister Pfister ins Auge. „Das dokumentiert die Eskalation unserer normalen Schwierigkeiten“, sagt die Intendantin. Die leeren Tage sind einer Architektur geschuldet, die den Besucher zwar holzgetäfelt und mit schönen Foyers empfängt, der Bühnentechnik aber kaum Spielraum läßt. So brauchen die angereisten Compagnien oft mehrere Tage, ihre Produktionen auf der kleinen Bühne einzurichten.
Eskalation der normalen Schwierigkeiten
Probleme machen die gestiegenen Kosten für das Haus sowie die Unterbringung und Reise der Künstler, so daß von dem Etat von 6,5 Millionen immer weniger für Produktionen bleibt. Da das Budget nur noch für neun Monate Programm reicht, hat das Hebbel die „Bar jeder Vernunft“ mit ihren Geschwistern Pfister zur Gast. „Das verfälscht aber unser Bild als Programmmacher“, fürchtet die Theaterchefin und hofft in der Zukunft auf Bundesmittel.
Wenn sie von „unseren Künstlern“ redet, umarmt sie einen großen Teil der Welt. Als Koproduktionspartner schätzt man das Hebbel-Theater in Amsterdam, Brüssel, Frankfurt (Oder) und Frankfurt am Main. 13 Produktionen sind zur Zeit auf Tour, bei denen sie ihre Finger im Spiel hatten, u. a. von Robert Wilson, Heiner Goebbels und dem Ensemble Modern, Jo Fabian und der Trisha Brown Company.
Noch bis 2002 bleibt Nele Hertling Intendantin. Zur Zeit entdeckt sie, als notorische Programmplanerin für das Festival „Theater der Welt“ unterwegs, Osteuropa wieder. „Solange der Osten hinter der Mauer lag, galt jede Gruppe von dort als subversiv. Als die Mauer dann auf war, sagte das Berliner Pulbikum: Na, was die machen, hatten wir schon vor zwanzig Jahren“, ärgert sich Hertling. „Aber was ich jetzt in Tallin, Bukarest und Sofia gesehen habe, war bei weitem das Spannendste der vergangenen zwei Jahre. Wahrscheinlich weil die jungen Regisseure genug Zeit hatten, nach dem Ende der Diktaturen ihre eigene Sprache auszutesten.“ Die auch ans Hebbel-Theater zu holen ist ihr nächster Plan.
29. bis 31. Januar, 20 Uhr, Feier zum 10jährigen Bestehen mit der Companyia Carlos Santos und ihren rasenden Klavieren
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