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Die Wahl ist noch nicht gewonnen

Hessens Ministerpräsident Hans Eichel möchte bei den Landtagswahlen am 7. Februar in seinem Amt bestätigt werden. Doch seine Partei, die SPD, hat ein Mobilisierungsproblem – und das liegt auch an ihrem Frontmann  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) – Der Ministerpräsident. So firmiert Hessens Regierungschef Hans Eichel (SPD) auf den Wahlkampfplakaten. Der MP. So wird er, noch knapper, von seinen engsten Vertrauten um Regierungssprecher Klaus-Peter Schmidt-Deguelle genannt. Der MP ist zuversichtlich, was den Wahlausgang am kommenden Sonntag anbelangt. Die SPD werde stärkste Fraktion, die Koalition mit den Bündnisgrünen könne fortgesetzt werden, er, Eichel, werde im April vom Landtag wieder zum Ministerpräsidenten gewählt. Das war vor einer Woche.

Heute heißt es in der Staatskanzlei: „Wir haben ein Mobilisierungsproblem.“ Die Symphatiewerte für den MP sind zwar unverändert hoch und die SPD liegt weiter mit 41 bis 42 Prozent vorne. Doch das konservative Lager holt auf: Umfragen sehen die Union bei 36 bis 39 Prozent, die FDP bei 5,5 Prozent bis 8 Prozent. Die Bündnisgrünen werden auf 8 bis 10 Prozent taxiert.

Nervenflattern in der Staatskanzlei. Der „Sympathieträger MP“ müsse halt noch einmal voll ran, sagt Schmidt-Deguelle. Dann werde ihm und der SPD am kommenden Sonntag das Glück hold sein. Um das Glück zu (er-)zwingen, hat sich Eichel schon einmal mit zwei schönen Schornsteinfegerinnen fotografieren lassen. Das monumentale Plakat ziert überall das Hessenland. Und der MP lacht darauf.

Das kommt selten vor. Meist geriert er sich seriös, auch spröde. Der MP: der oberste Buchhalter des Landes. Über Qualitäten als Entertainer verfügt er nicht. Muß er auch nicht – als Ministerpräsident. Das haben seine Berater erkannt und aus der Not eine Tugend gemacht. Eichel ist der brave Landesvater, ein stiller erster Sachbearbeiter im Dienste des Volkes. „Kongruenz herstellen“ zwischen Amt und Person, heißt das bei Schmidt-Deguelle.

Uas kommt an in Hessen, insbesondere bei den sogenannten kleinen Leuten. Wie am vergangenen Donnerstag in Lampertheim. Rund 700 Renter der Organisation „SPD 60 plus“ beklatschen dort ihren „Hans“ zu Marschmusik – „Alte Kameraden!“ – beim Einzug in die überfüllte Halle. Der „ehrliche Makler aus Wiesbaden“, so stellt ihn der Direktkandidat für den Wahlkreis Bergstraße, Norbert Schmitt, später vor, stolziert etwas hüftsteif durch die Reihen der Senioren in Sektlaune; ein Kopfnicken hier, ein kurzer Händedruck dort.

Die Rede des MP reißt dann auch keinen der „roten Löwen“, wie sich die sozialdemokratischen Rentner zur Unterscheidung von den „grauen Panthern“ nennen, von den harten Sitzbänken. Nur zweimal gibt es ordentlich Szenenapplaus. Beim Loblied auf den Wein von der Bergstraße. Und als Eichel ausführt, daß auch Goethe zwei Pässe hatte: den der Freien Reichsstadt Frankfurt am Maine und den von Sachsen-Weimar.

Eichels Wahlkampfrede deckt alle Politikfelder ab. Der MP spricht umständlich von Hessen als dem ökonomisch potentesten Bundesland der Republik, hebt die Förderung der neuen Technologien durch die Landesregierung hervor und verspricht, alles dafür zu tun, daß Hessen weltoffen und ausländerfreundlich bleibt, „auch aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus“. Die Kampagne der Union nennt Eichel „gefährlich für den inneren Frieden“. Und er lobt die ältere Generation, die mit der Integration der Flüchtlinge in die Nachkriegsgesellschaft der BRD schon einmal eine große Leistung vollbracht habe.

Beim Thema Flughafenausbau spricht Eichel von der „sorgfältigen Abwägung der divergierenden Interessen“. Danach werde die SPD entscheiden. Diese Entscheidung stehe dann nicht mehr zur Disposition. Die Bündnisgrünen müßten wissen, daß in zentralen Fragen der große Koalitionspartner entscheide, „nur bei kleineren Fragen manchmal auch der kleine“. Zum Schluß der Appell an alle: Den unentschlossenen Nachbarn sollen die Senioren mitnehmen ins Wahllokal und den müden Vereinsbruder. „Sagen Sie denen, daß wir Sozialdemokraten mehr von Hessen verstehen als die CDU.“

Die „roten Löwen“ sind zufrieden. Eichel hat ihre Erwartungen erfüllt. „Der hat doch schön gesprochen, so unaufgeregt“, konstatiert eine 70jährige Genossin aus dem Odenwald. Ihre parteilose Freundin ergänzt: „Der Eichel ist ein ehrlicher Mann; dem Koch von der CDU, dem traue ich dagegen nicht über den Weg.“ Ein paar „Knaller“ mehr in der Wahlkampfrede hätte sie sich allerdings schon gewünscht.

Daß Eichel aus seiner Haut nicht heraus kann, demonstriert er dann ungewollt. Als ihn eine neue Genossin, die an diesem Tag das Parteibuch ausgehändigt bekommt, auf der Bühne umarmen will, geht der MP auf Distanz. Er schüttelt ihr die Hand – mit ausgestrecktem Arm. Nähe sucht er nicht, nur Zustimmung zu seiner Politik.

Szenenwechsel. Der MP spricht in Darmstadt vor Kulturschaffenden und -bürokraten im Kulturtempel auf der Mathildenhöhe. Was fällt Eichel zum Stichwort Kultur ein? Goethe und Picasso. „Warum nicht Eva Demski aus Frankfurt?“ empört sich später eine heimatverbundene Literatin. Kulturpolitik ist nicht Eichels Terrain. Er wolle die „Regionalkultur“ fördern, bringt er später vor. Das Kulturvolk rümpft die Nase: „Was soll das sein? Der Hessentag?“ Eichel läßt die Häppchen danach sausen und bedient lieber wissenshungrige Lokaljournalisten – sein Terrain.

Der Tag ist noch nicht zu Ende. Abendveranstaltung im Odenwald. Bauern, Bürger – strukturschwacher Raum. Die Rede ist (fast) die vom Mittag in Lampertheim. „Wahlkampf macht Spaß“, ist auch in Reinheim der erste, nicht ganz glaubwürdige Satz. Dann kommen die positiven Umfrageergebnisse für die SPD. Beifall. Der Bergsträßer Wein wird wieder gelobt, die Hausmacherwurst aus dem Odenwald. Aber den Scheitel trägt er weiter links.

Was er denn überhaupt gelernt habe, wird er später in der Nacht von einem älteren Odenwälder gefragt? Eichel sinniert. Eigentlich habe er Lehrer gelernt. Dann sei er Oberbürgermeister von Kassel gewesen. Und danach Ministerpräsident geworden. Und dieses „Handwerk“ wolle er noch „eine ganze Weile lang“ ausüben. Draußen kratzt sein Fahrer schon einmal die vereiste Scheibe frei: mit dem roten SPD-Schaber aus Hartplastik.

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