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Gestärkte Mützen am Bahnhof Zoo

Das Nobelhotel Hilton und die Treberhilfe Berlin organisierten eine warme Mahlzeit für Obdachlose. Die Direktorin schenkte die Würstchensuppe persönlich aus. Die meisten Treber freuten sich. Aktion soll wiederholt werden  ■ Von Annette Rollmann

Man erkennt sie an den Händen. Hände, die rot sind vor Kälte, rauh und aufgerissen. Mit den Fingern, die einmal zarte Frauenhände waren, umklammert sie den Plastikbehälter mit dampfender Suppe: „Ich muß mich die ganze Zeit hier aufhalten. In meiner Wohnung, die ich noch habe, haben sie den Strom abgeschaltet. Kein warmes Wasser, kein Licht, keine Heizung“, klagt Wencke, während sie draußen am Hinterausgang vom Bahnhof Zoo steht und wegen der Kälte von einem Bein auf das andere wippt. Das Hotel Hilton verteilt hier an diesem Abend 200 Portionen Suppe mit Würstchen an Obdachlose und andere Menschen in Not. Die Suppe schmeckt, und sie findet die Aktion „klasse“. „Wir haben doch nichts.“

Und dann fängt sie an, über ihr Leben zu erzählen, das mit Schlägen durch den Vater begann, das zehn Jahre wohnen und schlafen auf der Straße heißt und Sehnsucht nach ihren zwei Kindern, die sie während dieser Zeit gebar und heute nur noch selten sieht. Ein Leben, das vor einem halben Jahr mit der Zwischenstation Knast eine kurze Unterbrechung der Straßenkarriere nahm, um nun wie gewohnt weiterzugehen.

In der Wohnung ist sie mittlerweile immer seltener, sagt sie, und läßt sich vom Küchenchef des Hilton noch mal einen kleinen Nachschlag geben. Der steht hinter dem „Buffet“ mit seiner großen weißen Kochmütze wie ein Besucher aus einer anderen Welt. Einer Welt, in der es weiße gestärkte Wäsche gibt, warmes Wasser, mit dem man sich seine Hände waschen kann, und gutes Essen. Wencke hält den Behälter mit Suppe hin, der ihre kaputten Hände wärmt.

Organisiert hat diese Aktion die Treberhilfe Berlin mit dem Hotel Hilton. Die Treberhilfe hatte vor zwölf Tagen in einer Sendung von Radio Fritz die Aufgabe bekommen, innerhalb von zwanzig Minuten ein Berliner Luxushotel zu finden, das bereit ist, Obdachlosen Essen zu spendieren. Viele lehnten ab, das Hilton sagte spontan zu, und innerhalb von zehn Minuten stand die Planung für die Aktion „Hilton hilft!“. Und so schenkt nun an diesem Montag abend die Generaldirektorin des Hilton Berlin, Gunthi Katzenmaier, höchstpersönlich die Suppe an die Treber aus. „Ich bin überrascht, wie nett die sind“, wird sie später über die Obdachlosen sagen.

Die meisten Menschen, die an diesem Abend hinter den Bahnhof Zoo kommen, leben auf der Straße, eine Nacht bei einem Freund, eine andere in einer Unterkunft einer karikativen Einrichtung. In Berlin, so schätzt die Treberhilfe, gibt es 10.000 bis 12.000 Obdachlose, davon sind rund 3.500 minderjährig. Die Treberhilfe selbst erreicht rund 4.000 bis 5.000 Personen pro Jahr, finanziert wird sie zu einem Viertel durch das Land Berlin, drei Viertel der Kosten rechnet sie mit den Jugend- und Sozialämtern der Bezirke ab. Die Aktion mit dem Hilton ist für die Treberhilfe ein wichtiger Erfolg: „Hier begegnen sich verschiedene Welten“, sagt Geschäftsführer Harald Ehlert. Sozialsponsoring sei in Deutschland ohnehin noch wenig bekannt. „Wir machen hier vor, wie es geht.“

Stefan und Kiddy, zwei Brüder aus Westfalen, gerade 18 und 19 Jahre alt, finden die Hilfe vom Hilton hingegen „voll kommerziell“. „Die wollen nur ins Fernsehen kommen und sich als Samariter aufspielen. Die Nummer ,die armen Kinder auf der Platte‘ und so“, sagt Kiddy. Die beiden Brüder „asseln und schnorren so herum“ und bekommen pro Stunde und Person um die zehn Mark zusammen. „Das reicht. Mehr als 'nen Döner und was zu trinken brauch' ich nicht. Ich komm' schon durch“, sagt Kiddy. Der Punk in schwarzer Lederjacke mit Nieten und einem orangenfarbigen Irokesenschnitt lebt schon seit vier Jahren auf der Straße. Sein Bruder Stefan ist seit einem Monat dabei. „Streß mit zu Hause“, nennen sie als Grund, und auf die Frage, ob es die Eltern nicht kümmere, daß ihre beiden Söhne auf der Straße leben, sagen sie nichts. Die Antwort müßte wohl lauten: Nein. Doch Kiddy, der Coolere von beiden, geht über diesen Abgrund im Leben lieber schnell hinweg und erzählt, daß er, wenn er nicht gerade schnorrt, gerne Passanten beschimpft. „Die meisten sind sowieso ziemlich aufgeblasen. Und dann denken sie, wenn sie dir was gegeben haben, können sie dich als Gegenleistung vollabern.“ Kiddy hat warme Augen mit einem kalten Blick: „Komm, wir gehen“, sagt er zu seinem Bruder, und beide verschwinden Richtung Bahnhof. Ein Ziel haben sie nicht, nicht mal für denselben Abend.

Die Suppe dampft nach wie vor auf der Wärmplatte, und die Treber stehen auf dem Gehweg. Nur Gunthi Katzenmaier ist es in ihrer schwarzen Winterjacke offensichtlich zu kalt geworden. Sie hat sich auf den Beifahrersitz des Hiltontransporters verkrochen und die Autotür fest verschlossen. Drinnen sitzt sie verfroren und betrachtet durch die Fensterscheibe das Geschehen auf dem Gehweg. Ja, sie mache sich Gedanken, wie es Menschen passiert, daß sie in so eine Lebenslage kämen, sagt die erfolgreiche Managerin und Blondine mit modischem Kurzhaarschnitt: „Wir wollen diese Aktion in einem Monat wiederholen“, verspricht sie und löffelt mit ihren zarten Frauenhänden ein paar Löffel Hilton-Suppe. Draußen stehen die Treber und gucken ins Innere des Wagens hinein.

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