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Lilli Bechmanns späte Rückkehr

Die Universität Erlangen würdigt heute Juden, denen in der NS-Zeit die Doktorentitel aberkannt wurden. Professoren sammelten für einen Gedächtnis-Preis  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

An der Uni Erlangen findet heute die Promotionsfeier der beiden Philosophischen Fakultäten statt. Im Rahmen der Zeremonie wird auch Lilli Bechmann gewürdigt. Mit gerade mal 23 Jahren hat sie ihre Doktorarbeit vorgelegt. Doch Lilli Bechmann wird sich nicht im Saal befinden. Auch hat sie nie einen der übrigen Doktoranten getroffen, denn ihren Titel erhielt sie bereits vor 65 Jahren. Obwohl Hitler damals schon mehr als ein Jahr an der Macht war, konnte die junge Jüdin am 17. Februar 1934 promovieren. Im Mittelpunkt der heutigen Feier steht die Erinnerung an das Schicksal, das Bechmann mit praktisch allen jüdischen Doktoren teilte: ihr Titel wurde ihr aberkannt.

Die Namen der Promovierten mitsamt den Daten und Themen ihrer Dissertation werden bei dem Festakt vorgestellt. „Wir wollen sie dem Mantel des Schweigens entreißen, sie sollen keine anonymen Fälle bleiben“, begründete Dekan Professor Hartmut Kugler den demonstrativen Akt. Andere Universitäten wie die Humboldt-Universität in Berlin oder die Ludwig- Maximilian-Universität in München hatten sich zuvor mit lapidaren Erklärungen zur Nichtigkeit der Aberkennungen begnügt, viele Unis schweigen noch immer.

Lilli Bechmann ist eine von 25 Fällen, auf die die Universität bei ihrer Forschung in der eigenen Geschichte gestoßen ist. 1911 geboren, stammte Bechmann aus einer bekannten jüdischen Familie in Fürth und hatte Literaturwissenschaften in Freiburg, Berlin und Wien studiert. Als sie 1934 in Erlangen zum Thema „Empfindsamkeit“ promoviert, eine literarischen Richtung des späten 18. Jahrhunderts, werden an anderen deutschen Universitäten Studenten jüdischer Herkunft schon nicht mehr zur Prüfung zugelassen. Die vom Gutachter Benno von Wiese mit „sehr gut“ bewertete Arbeit gehört heute noch zur Standardliteratur über die Kultur- und Geistesgeschichte der „Empfindsamkeit“. Im Promotionsbuch ist Lilli Bechmann die jüngste und letzte jüdische Doktorin der nationalsozialistischen Zeit.

Als ihr 1941 der Doktortitel aberkannt wurde, war Lilli Bechmann schon längst emigriert. An der Seite ihres Mannes Alfred Rahn, der ebenfalls einer jüdischen Familie in Fürth angehörte, und ihrer einjährigen Tochter Ruth war sie 1938 in die USA geflüchtet. Doch auch dort gab es zunächst Schwierigkeiten.

Ihr Mann, der 1935 schon in die USA gefahren war, um dort die Lage zu sondieren, war von den NS-Behörden wegen eines „Devisenvergehens“ bestraft worden. Die zuständigen Stellen in den USA werteten dies als „Vorstrafe“ und verweigerten ihm das Visum. Der Fall Rahn sorgte in den USA für erheblichen Wirbel. Erst nach einem Hearing vor dem Kongreß rangen sich die Behörden dazu durch, sein „Devisenvergehen“ in Nazideutschland als politisches Delikt zu verstehen – eine Präzedenzentscheidung, die vielen die Emigration ermöglichte.

Lilli Bechmann-Rahn verdiente mit Deutschunterricht in den USA ihren Lebensunterhalt. Eine Rückkehr in die Wissenschaft gab es für sie nicht mehr. Sie starb 1970 in Denver (Colorado).

Im Rahmen der Erlanger Feier wird in diesem Jahr erstmals auch der Lilli-Bechmann-Rahn-Preis für eine herausragende Promotion verliehen. Mit der Namensgebung für den neugeschaffenen Preis will Fakultätsdekan Kugler der „Beschädigungen“ gedenken, „die der Promovierten wie ihrer Fakultät durch die Titelaberkennung zugefügt worden sind“. Das Preisgeld von 2.000 Mark haben die Professoren der Philosophischen Fakultäten gespendet — ein bundesweit einmaliger Vorgang. Kugler will nun 70.000 Mark zusammenbekommen, um die jährliche Vergabe des Preises sichern zu können.

Eine Wiederzuerkennung der Doktorentitel im Sinne eines streng juristischen Verfahrens ist nicht erforderlich. Die Promotionen wurden nie aus dem Promotionsbuch der Philsophischen Fakultäten getilgt, und die Aberkennung wurde bereits durch eine Regelung der Alliierten pauschal für nichtig erklärt. Für Kugler geht es jedoch darum, daß die Fakultät mit der Würdigung der Promovierten den Betroffenen einen Namen gibt.

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