piwik no script img

Lubitsch mit Laptop

„E-mail für Dich“ von Nora und Delia Ephron: Die alten Spielregeln der Komödie gelten auch im Internetzeitalter  ■ Von Niklaus Hablützel

Einen Film über das Internet hat Nora Ephron gewiß nicht gedreht, auch wenn America Online das glauben machen will und den Waschzetteln gleich die CD-ROM beigepackt ist, um AOL umgehend auf dem eigenen Computer zu installieren. 100 Millionen Dollar hatte „You 've got mail“ in den USA schon nach vier Wochen eingespielt: Die Kooperation von Hollywood mit dem Branchenführer des neueren Mediums mag sich gelohnt haben, die Ursache des Erfolgs ist sie sicher nicht. „E-mail für Dich“ ist ein überaus altmodischer Film, nicht nur weil Lauren Shuler Donner, die Produzentin, mit den Schwestern Nora und Delia Ephron, Regisseurin die eine, Drehbuchautorin die andere, Lubitschs Komödie „Nach Ladenschluß“ („The Shop Around the Corner“) von 1940 neu inszeniert hat. Nichts lag den drei Frauen ferner als die Absicht, diesen Klassiker zu modernisieren. Im Gegenteil: Ihr Remake ist eine Hommage an Lubitsch geworden, eine sehr kluge und einsichtige zudem, denn sie haben sehr gut verstanden, wie souverän Lubitsch die Hebel des Komödienmechanismus bedient.

Einer davon, ein uralter, ist der Brief. Er kann in die falschen Hände geraten, er kann die Wahrheit enthalten, eine Lüge, Teil einer Intrige sein, alles ist dem Brief in der Komödie schon zugemutet worden. Aber er ist nur ein Requisit, ein Scharnier für die Handlung. Seine komische Wirkung besteht gerade darin, daß die handelnden Figuren von ein paar Worten auf einem Stück Papier schier außer Fassung geraten. Allein dieses Requisit ist es, das Nora und Delia Ephron der Gegenwart angepaßt haben. Bei Lubitsch kam der Komödienbrief mit der Post, hier kommt er mit AOL. An seiner Funktion ändert sich dadurch nicht das geringste – auch das ist eine Pointe dieses konservativen Films.

So warten denn Meg Ryan als Buchhändlerin mit ihrem Laden an der Ecke und Tom Hanks als Boß der großen Buchhandelskette nicht mehr auf den Postboten. Sie eilen nicht verstohlen zum Briefkasten, sondern zu ihren Laptops. „You 've got mail“, heißt es jetzt, und für diese Standardmeldung des AOL-Programms kommt tatsächlich auch einmal der Computerbildschirm auf die Leinwand. Wichtig ist er nicht, der Rest ist jene alte Schauspielkunst, die so gar nichts mit dieser Technik zu tun hat. Wir sehen meist nur das Gesicht. Ein Lächeln, ein Stirnrunzeln, ein Lidschlag müssen alles sagen.

Meg Ryan und Tom Hanks genießen sichtbar ihre Rollen. Die Komödie verlangt nach Typen. Nach einer Kathleen Kelly zum Beispiel, der hübschen Buchhändlerin, die den Kindern aus der Nachbarschaft Geschichten vorliest, nicht nur, weil das gut für das Geschäft ist. Kathleen will ihnen wirklich eine Freude machen. Sie mag Kinder, sie mag überhaupt alles, was sie tut, außerdem alles Gute und Schöne. Oder einen wie Joe Fox, den die Schwestern Ephron etwas komplizierter gestrickt haben. Ein junger, erfolgreicher Geschäftsmann zwar, der seine Kette von Buchläden in ganz New York ausbreitet, auch wenn das den Laden einer Kathleen Kelly ruiniert, aber dabei doch ein ganzer Kerl mit Herz.

So sind die Karten vielversprechend gemischt. Anonyme Briefe bringen die beiden zusammen, die sich im Geschäftsleben nur als Feinde begegnen können. Wenn der Film beginnt, haben sie sich in ihren Briefen längst verliebt, nun sollen sie sich auch noch in der Wirklichkeit kennenlernen. Das ist das leicht durchschaubare Gerüst der Komödie, das nun mit Situationen und einer Handlung bis zum Happy-End ausgefüllt werden muß. Was ist daran komisch? Weder die anonyme Liebe noch das Sterben kleiner, sympathischer Läden. Komisch ist nur die Wirklichkeit, in der beides durcheinandergerät, die kleine familiäre Welt des Buchladens vor allem, mit den angestaubten Regalen und der alten Birdie hinter der Kasse, die auf Intel-Aktien spekuliert.

Unerreichbar zunächst scheinen von hier aus Joes Büro, die Baustelle und die Eröffnung seiner neuen Filiale in Glas und Stahl. Aber es gibt die Straßen von New York und die Lokale, in denen die beiden sich treffen können, zufällig und absichtlich zugleich. Sie kennen sich, und sie kennen sich nicht. Zwar findet Joe bald heraus, daß ausgerechnet die Buchhändlerin Kathleen, die ihn wie eine Furie beschimpft, seine Mail-Geliebte ist. Aber das nützt ihm nichts. Er ist ihr Feind, denn sie weiß bis zur letzten Szene nicht, daß sie sich in ihn verliebt hat. Natürlich kennt sie ihn darum nicht weniger gut, nur daß sie seine beiden Seiten nicht zu einer Person zusammenfügen kann.

Die Verwechslung führt zu tausend Störungen und Katastrophen des Alltags, die Nora Ephron mit einer bewundernswürdigen Liebe zum kleinsten Detail ausspinnt. Keine Pointe hängt in der Luft, alles ist eingebettet in die Konstellationen von Dingen und Personen, die das Unwahrscheinliche möglich machen. Wenn Joe mit einem Blumenstrauß in der Hand an Kathleens Haustür klingelt, will sie ihn selbstverständlich nicht hereinlassen – den Laden hat sie bereits aufgegeben, weil auch ihre Stammkunden nunmehr bei Joe Fox einkaufen. Aber sie redet noch auf das Mikrophon der Gegensprechanlage ein, wenn er schon an die Wohnungstür klopft. Ein Unmensch ist er ja nicht, und so reift die einzig mögliche, aus der strengen Logik der Exposition folgende Lösung heran. Sie treffen sich nun öfter, er arrangiert Zufälle, bis schließlich das Schlüsselwort fällt: Sie möchte ihn sogar lieben, wenn da nicht der andere wäre, der Mann ihrer Träume aus der Mailbox. Wieder einmal hat der Komödienbrief seine Schuldigkeit getan.

Darüber ist es Frühling geworden, und Nora Ephron läßt das Finale in einem wahren Meer von Blumen spielen, die im sonnigen Park aufblühen. Kein Computer, keine E-Mail, sondern ein gewöhnlicher Hund liefert endlich den Identitätsbeweis, der allein noch fehlt zum unvermeidlichen Komödienglück. Joe Fox ruft ihn herbei, er hört auf den Namen, den sie nur aus seinen Briefen kennt. Das überzeugt auch sie, das Tier kann nicht irren, auch nicht im Zeitalter des Internet und von AOL, das in den unglaublich leuchtenden Augen von Meg Ryan ohnehin schon lange vergessen und zur unwichtigsten Sache der Welt herabgesunken ist.

„E-mail für Dich“. Regie: Nora Ephron, Darsteller: Meg Ryan, Tom Hanks, 117 Minuten, USA 1998

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen