: Berlin tut Frau Lindner einfach gut
■ In der Großstadt will Michaela Lindner, vormals Bürgermeister Norbert, Karriere machen
Berlin (taz) – Bisher lasen sich Geschichten über Michaela Lindner meist wie Notizen aus dem Jammertal. Ein Kaff in Sachsen- Anhalt; ein PDS-Bürgermeister, der sich als transsexuell outet; empörte Dörfler, die mit Häme nicht sparen: „Schande fürs Dorf“, „Schwuchtel, die nicht hierher gehört“, „Was bei Tieren nicht vorkommt, kann es bei Menschen nicht geben“; Ende November die Abwahl: Die Frau wird aus dem Dorf gejagt, mit 482 zu 235 Stimmen.
Seit einigen Tagen nun lesen sich Geschichten über Michaela Lindner wie Notizen aus dem Tal der Glückseligen. Michaela Lindner angekommen in Berlin; Michaela Lindner als Stargast bei einer Filmgala; U-Bahn-Fahren gibt Michaela Lindner Selbstbewußtsein; Michaela Lindner plant eine neue Politkarriere. Balsam für die strapazierten Nerven der 40jährigen.
Michaela Lindner, Deutschlands erste transsexuelle Bürgermeisterin, sitzt im Karl-Liebknecht-Haus, der Berliner PDS- Parteizentrale, und gibt Interviews, im betont fröhlichen Ton. „Berlin tut mir gut“, sagt sie. Sie redet vom „toleranten Klima“ in der Stadt, von der Szene, „in die ich tief eingetaucht bin“, von der Politik, „von der ich nicht lassen kann“. Was heißt: Sie will auch künftig für die PDS Politik machen, entweder in einem Berliner Bezirksparlament oder gar im Abgeordnetenhaus. Anfang Oktober wird in der Hauptstadt gewählt.
„Noch ist nichts entschieden“, betont PDS-Sprecher Hildebrandt, signalisiert aber im gleichen Atemzug Wohlwollen: „Wir freuen uns, daß sich Michaela Lindner politisch engagieren will“. Warum also nicht „mit einer schillernden Persönlichkeit“ in den Wahlkampf gehen? Daran schließlich mangelt es der Berliner PDS.
Das „Schillernde“, das „Provozierende“ war Michaela Lindner im anhaltinischen Quellendorf zum Verhängnis geworden. Fast täglich waren im vergangenen Jahr Journalisten, Kamerateams und Fotografen in die 1.048-Einwohner-Gemeinde eingefallen, waren die Dörfler als intolerante Deppen dargestellt worden. Von einem versöhnlichen Miteinander konnte bald nicht mehr die Rede sein. Zugegeben, die Toleranzgrenze war eh nie sehr großzügig.
In Berlin ist alles anders, soll alles anders sein. PDS-Sprecher Hildebrandt glaubt nicht, daß „sich die Berliner CDU sich traut, gegen Transsexuelle Wahlkampf zu machen“. Ein Bündnisgrüner schätzt ein: „Die CDU will sich als moderne Großstadtpartei präsentieren, die kann sich nicht erlauben, gegen eine transsexuelle Politikerin zu schießen.“ Vor Jahren freilich sah das noch anders aus. Christdemokraten tobten, als ein Politiker der Alternativen Liste im Fummel und mit Handtäschchen ins Abgeordnetenhaus spazierte.
„Ich will testen, ob diese Stadt wirklich tolerant ist“, sagt Michaela Lindner. Wird das noch nötig sein? Noch im Frühjahr wird sie die Geschlechtsangleichung vollziehen, ist sie dann eine Frau, eine einfache PDS-Politikerin.
Jens Rübsam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen