: Bilderstreit
■ Fotografen gegen den "Tagesspiegel": Darf ein Verlag Beiträge von Mitarbeitern endlos ausbeuten?
Eine Liste hängt in den Redaktionsräumen des Berliner Tagesspiegels, eine schwarze Liste: „Achtung. Keine Bilder verwenden von...“. Von dem guten Dutzend Bildjournalisten, deren Namen folgen, druckt das Blatt keine Bilder mehr. Der Grund: Die Fotografen haben aufgemuckt. Für heute haben sie sogar zu einem Aktionstag aufgerufen und wollen vor dem Verlag demonstrieren.
Es geht um das Recht am geistigen Eigentum Foto. Für den Abdruck im Tagesspiegel liefern freie Fotografen Bilder. Diese tauchten wiederholt auf der Internetseite www.tagesspiegel.de auf und auch in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN), die wie das Berliner Blatt zum Holtzbrinck-Konzern gehören. Die Fotografen wurden weder gefragt noch bezahlt. Fünf klagen deshalb auf Schadenersatz.
Der Tagesspiegel steht vor Gericht – aber mit seiner Praxis nicht alleine da. Nur rund 150 der über 350 Tageszeitungen in Deutschland haben „Vollredaktionen“, produzieren also alle Seiten selbst. Die übrigen übernehmen Texte und Fotos aus anderen Zeitungen ihres Verlags. Zudem haben schon 145 Blätter Online-Ausgaben. In vielen werden Fotos aus der gedruckten Zeitung übernommen – unbezahlt. „Nicht honorieren ist die Regel“, sagt Wolfram Schimmel von der Gewerkschaft IG Medien, „das machen fast alle so.“ „Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert für die Problematik nicht“, frohlockt dagegen Tagesspiegel-Juristin Dagmar Walker.
Die Journalistengewerkschaften DJV und IG Medien sowie der Fotografenverband FreeLens unterstützen die Kläger. Für sie ist es ein Präzedenzfall, geht es doch um die Spielregeln zwischen Journalisten und Medienunternehmen in der künftigen Medienwelt. Wenn klassische Medien mit elektronischen verschmelzen, wird das sogenannte Cross-Publishing alltäglich: Eine Zeitungsreportage erscheint natürlich auf der hauseigenen Internet-Seite, wird Lesern, die ein spezielles Interesse angemeldet haben, per E-Mail zugeschickt, und vielleicht werden die Recherchen dann auch noch weiterverwertet: Etwa wenn ein Verlag bei Radio oder TV beteiligt ist. Die Gretchenfrage dieser Quer-Veröffentlichungen: Erwirbt ein Verlag, wenn er einen Beitrag ankauft, auch das Recht, ihn beliebig oft in allen Formen zu verbrezeln?
Die Urheber müssen derlei Mehrfachversilberung erst zustimmen und haben Anspruch auf mehr Geld, sagen die Anwälte der Fotografen. Der Tagesspiegel meint, die Übernahme der Bilder ins Internet sei sein gutes Recht. Überhaupt gebe es für diesen Komplex keine „ausdrückliche Vereinbarung“. Und dann machten es ja die anderen auch so.
Nach erfolglosen Gesprächen mit Ex-Chefredakteur Gerd Appenzeller klagte im Dezember der erste von fünf Fotografen. Er fordert 75.000 Mark Schadenersatz. Ein Urteil wird frühestens im Herbst erwartet. Experten abseits der Fronten sehen gute Chancen für die Kläger. Schon im November gab das Oberlandesgericht Hamburg einer Klage der Fotografen von FreeLens statt. Der Spiegel hatte Fotos auf CD-ROMs veröffentlicht, ohne es den Fotografen zu sagen oder sie dafür zu bezahlen. Die Richter aber werteten derlei Kreuz-und-quer-Verwertung nicht als selbstverständlich, sondern als neue, selbstständige Nutzungsart. Würden die Berliner Richter über Online-Ausgaben ähnlich urteilen, hätten die Fotografen Erfolg.
Auch die Rundumverwertung von Texten ist noch nicht endgültig geklärt, wenngleich die meisten Verlage (die taz inklusive) inzwischen die Online- und Datenbankverwertung in ihre Abmachungen mit den Autoren aufgenommen haben. Nun bahnt sich ein Musterurteil an. Als im Dezember der Holtzbrinck-Konzern seinerseits klagte, weil eine Datenbankfirma Artikel aus seinem Handelsblatt ohne Erlaubnis verwertet hatte, befand der Bundesgerichtshof: Zuerst müsse geklärt werden, ob die Rechte zur Zweitverwertung überhaupt bei dem Verlag liegen – oder nicht doch bei den Verfassern. Ein endgültiges Urteil steht nun beim Düsseldorfer Oberlandesgericht noch aus. Stefan Schmitt
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