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Werft Perlenketten!

Eine E-Mail aus Amerika: „Bitte vergessen Sie beim Kofferpacken nicht, daß es eine Underwear Party und eine Leather Party gibt.“ Ich schrieb zurück: „Auf Reisen nehme ich grundsätzlich Unterwäsche mit.“ Tage später stach die „MS Tropicale“ mit tausend Schwulen an Bord von Florida nach Puerto Rico in See.  ■ Von Tomas Niederberghaus

13. Februar 1999

Das Meer schläft nicht. Mit seinen Wellen schwingt sich der Alltag an Bord zur Irrealität auf. Tag und Nacht. Das Einzige, was auf der „MS Tropicale“ noch mit dem wirklichen Leben zu tun hat, sind die Sicherheitsinstruktionen kurz nachdem unser Schiff den Hafen von Tampa verlassen hat.

In der plüschigen „Islands in the Sun Lounge“ sitzen Hunderte schwuler Männer mit Schwimmwesten um den Hals und der Steward sagt: „Im Ernstfall kümmern Sie sich bitte zuerst um Frauen und Kinder.“ Dann sagt er: „In den Rettungsbooten ist das Rauchen und Trinken nicht gestattet.“ – „Hat der eine Ahnung“, flüstert Rick aus San Francisco und zwinkert mir charmant zu, „wofür man ein Rettungsboot so nutzen kann“.

Ich habe die Kabine E20 bezogen. Oberstes Deck. King Size Bett, Fenster zum Meer. Fünf Tage werde ich keine Nacht länger als vier Stunden schlafen, ich werde sehr oft den Satz „It's fun“ und auch trashige Geschichten hören, ich werde die hübschesten Männer sehen, die zum Frühstück Longdrinks trinken und bis zum Untergang feiern. 944 Schwule und dreißig Lesben sind an Bord, die meisten aus den USA und Kanada, nur ein paar aus Europa.

Eine Stunde sind wir nun auf hoher See. Im Fitneßraum riecht es bereits streng nach Anstrengung. Und am Pool beginnt die „Bon Voyage Party“ mit Champagner und Cher. „Do you believe in love“ tönt aus den Boxen, die ersten Boys werfen ihre tank tops zur Seite, und als dann „We are family“ gespielt wird, hageln bunte Perlenketten in die Menge.

Was für eine Familie. Junge und Alte. Dünne und Dicke. Paare und Singles. Meister und Schüler. Drag Queens und Machos. Langhaarträger und Kahlrasierte. Ärzte, Banker, Friseure, Maurer, Postboten, Novellenschreiber, Rechtsanwälte und Studenten. Und mittendrin Don und Phil, zwei Männer um die siebzig, die, wie Don sagt, seit 46 Jahren liiert sind und zum vierzehnten Mal schwul kreuzfahren. Mit Quentin Crisp waren sie schon an Bord, und mit Armistead Maupin, dem Autor der San Franciscoer Stadtgeschichten. Don und Phil sind von rührender Zweisamkeit. Sie tragen weiße Hosen und silberglänzende Paillettenjackets. „Wir tanzen nicht bis in die Puppen“, sagt Don, „aber wir lieben das Bordprogramm. Den jungen Menschen möchten wir Hoffnung geben, ihnen zeigen, daß es sich lohnt zu leben und gemeinsam alt zu werden.“

14. Februar 1999

Bill ist tot. Nach fünf Stunden Kreuzfahrt blieb sein Herz einfach stehen. Eine Überdosis Kokain. An diesem Morgen verläßt der 42jährige das Schiff im Sarg. Es wird nicht darüber gesprochen. Die Stimmung darf nicht kippen, denn die Stimmung ist famos. Draußen an den Piers von Key West empfangen uns Schwule und Lesben mit Regenbogenfahnen und Foldern. Ein Tagesausflug. Durch die Duval Street rauschen Drag Queens in riesigen Cabrios. Aus „Divas“ und dem „Bourbon Street Pub“ tönt Musik.

Nur in Hemingways Haus herrscht Ruhe. Keine homosexuelle Seele zu sehen. Der Tourguide zeigt gerade auf die Katze im Schlafzimmer, eine bunte Skulptur, die Picasso Ernest Hemingway geschenkt hat, als plötzlich eine Hand mein Gesäß streift und mir jemand „Hallo, blonder Ritter“ ins Ohr flüstert. Es ist Armando, Ex-Kubaner, Ballroom-Dancer aus Tampa. „Cherie“, sage ich, „Deine Nummer als Hafennutte hätte Hemingway sicher gefallen.“

Abends beim Captains Dinner sitzt Armando mit seinem Freund David am Tisch Nummer 139. Beide tragen schwarze Anzüge und schwarze Fliegen. Leider ist das Essen zweitklassig. Eine Riesengarnele von der Größe einer Krabbe liegt verloren auf dem Vorspeisenteller und das vegetarische Gericht ist lauwarm. „Man muß sich um den Smutje kümmern“, sagt David lakonisch. David hat die Augen eines James Dean, den Charme eines Gregory Peck und das Wissen eines Peter Ustinov. Und als ich die beiden um Mitternacht zur Underwear Party abhole, steht David mit der Figur eines Profischwimmers in der Kabine. Armando hält fünf Fummel in der Hand und fragt, was er anziehen soll. „Honey“, sagt David, „you are the dancing queen“, worauf Armando streng erwidert: „Respect the monarchy, my mother is still alive“.

Die Underware Party unter Sternenhimmel gleicht einer Dessousmodenschau. Auf der Tanzfläche schmiegen sich hunderte Calvin-Klein-Körper aneinander. Für die umstehenden Älteren sind sie fleischgewordene Appetizer, wie andersherum die Älteren ihr Publikum sind. Es wird wild geflirtet, und für einige Minuten riecht es, als sei die „MS Tropicale“ ein Frachter für die Sexdroge Poppers. Ich hatte eine schwarze Bartenderin abends gefragt, ob sie sich die Underware Party nicht entgehen läßt. Wegen der hübschen Männer. „Wissen Sie“, sagte sie, „seit meiner letzten Gay Kreuzfahrt kann mich nichts mehr schocken“.

15. Februar 1999

Die Welt hat sich verkehrt. Eine Minderheit ist zur Mehrheit geworden. Schwule, wohin das Auge reicht. Schwule im Casino, Schwule beim Fitness, Schwule beim Abendessen und beim Frühstück, im Aufzug und in den Gängen, in den Bars und den Kabinen, in der Bücherei und im Beauty Salon. Wer sonst als Friseur oder selbst als Steward arbeitet, läßt sich fürstlich bedienen. Heteros servieren freundlich Getränke, klappen die Sonnenliegen auf, räumen den Dreck des Vorabends weg. Es gibt keine Blicke der Verachtung. Jeder darf an Bord sein Haar herunterlassen. „Heimat“, singt die Diseuse Jo-Ann Pezarro in der Tropicale Lounge, „ist dort, wo du geliebt wirst“.

Jo-Anns Show ist nur eine von insgesamt täglich etwa zwanzig Programmeinlagen an Bord: Bingo mit Danny Williams, das Matchmaker Game mit Danny Williams, die Pool Games mit Danny Williams und die Talentshow, ebenfalls mit Danny Williams. Das alles sind meistens Parodien auf TV-Shows mit „Herzblatt“-Niveau, und Danny Williams übersteigert sie phantasiereich und wortgewandt in einen bittersüßen Tuntentrash. Und vor allem hat er einen Blick für Talente, etwa für Uncle Willi. Uncle Willi wiegt ungefähr so viel Kilos wie er Kreuzfahrten gemacht hat – 134. Er sagt, daß er zwar schwul sei, aber noch nie Sex mit einem Mann hatte. Als sich Uncle Willi später in den Pool stürzt, schwappt die aufschäumende Welle in die Longdrinkgläser der Sonnenbadenden über. Lautes Kreischen.

Manche Männer liegen seekrank im Bett und bekommen von all dem nichts mit. Andere, wie etwa der Schönheitschirurg aus Wien, ziehen sich vorübergehend mit Alkohol und Kokain aus ihrer Depression. Einmal liegt er apathisch auf dem Boden.

Oder John, ein 54jähriger Mann aus Minneapolis. Immer wieder redet er auf Jeff ein, er solle ihn nun bloß nicht allein lassen. John wirkt verwirrt. Er habe erst vor kurzem sein Comingout gehabt, sagt er. Dann zieht er das Bild seiner elfjährigen Tochter aus der Geldbörse. Jeffs Rat klingt wie aus der Trickkiste der bundesdeutschen Sexmutter Erika Berger: „Du mußt Dich nicht schämen. Altershomosexualität ist weit verbreitet. Lerne, dich zu akzeptieren.“ Nach zehn Minuten verläßt John, der Manager, den Tisch. „Vielen Dank für Deine Freundschaft“, sagt er und lacht. So schnell kann das gehen. Abends steht John mit einem jungen Mann aus Los Angeles auf dem Upperdeck und blickt hinaus aufs admiralblaue Meer, auf die untergehende Sonne, Arm in Arm, wie auf der Titanic.

16. Februar 1999

Das Meer ist Heimat. Ein Ort der Sehnsucht, des Begehrens. Sein würziger Atem hält uns in Ekstase. Doch die Ausdauer vergeht wie die Schaumzunge hinter der „MS Tropicale“. Das Wasserballett fällt wegen hohen Seegangs aus!

17. Februar 1999

Kreuzfahrten sind langweilig. Und zwar so langweilig, daß die Gäste vom gegenüberliegenden Schiff im Hafen von Tortola mit Fernstechern und Kameras das exotische Treiben auf der „MS Tropicale“ verfolgen – als hätten sie eine Fünfzigdollarfotosafari gebucht. Ein älterer Franzose schreit böse Sätze rüber: „Ihr sollt alle untergehen.“ In diesem Augenblick fragt man sich, ob die „MS Tropicale“ nicht versehentlich die Karibikinsel Grand Cayman angesteuert hat. Denn der dortige Tourismusminister hat schwulen Kreuzfahrtschiffen Hafenverbot erteilt. Er befürchtet, „daß sich die Landgänger nicht angemessen benehmen“.

Tortola, eine der British Virgin Islands, gleicht einem üppigen Obstgarten. Pampelmusen, Orangen und Bananen leuchten in der Sonne, Palmen wedeln im Wind. In kleinen offenen Bussen fahren wir über die Insel. Nach dem Besuch des Botanischen Gartens sagt Armando: „This was not a Kodak moment.“

Der Fahrer rollt kurz die Geschichte der Insel auf, erzählt von Christopher Columbus, der Tortola 1493 entdeckt hat, berichtet von holländischen und englischen Seefahrern, die Tortola im siebzehnten Jahrhundert als Versteck nutzten, und zeigt auf die Nachbarinsel Norman Island, die Robert Louis Stevenson zu seinem Schmöker „Treasure Island“ veranlaßte. Die Piratengeschichten setzen schwule Phantasien frei: Vor mir spinnen David und Armando den Stoff zu einer homoerotischen Seefahrerode.

Die letzte Party. Diesmal in Leder. Und wieder mit Cher. Greg aus Buffalo hat ganz glänzende Augen. Er sei Friseur, sagt der Ledermann, er habe Cher einmal live gesehen und ihr später aus Dank ein Shampoo geschickt. Gegen dünnes Haar. Die Sängerin habe sich per Postkarte bedankt. Ein letztes Mal hat mir Steward Hussein aus zwei weißen Handtüchern und meiner Sonnenbrille einen Hasen auf mein Bett drapiert.

18. Februar 1999

Kurz vorm Auschecken im Hafen von San Juan auf Puerto Rico wechseln Visitenkarten die Besitzer. Wie an der Börse. Draußen an den Piers warten schon die neuen Gäste. Sie werden neun Tage cruisen. Auch im Charterflieger von San Juan nach Miami sitzen ausschließlich Schwule. Der Steward erklärt die zehnminütige Verspätung mit den zahlreichen Pumps und Hutkoffern, die in die Maschine zu laden seien. Das Entertainment ist noch lange nicht zu Ende.

PS: Seit zwei Tagen sitze ich am South Beach und schaue stoisch aufs Meer. Ich versuche, Eindrücke zu ordnen. Hunderte von Männern, Hunderte von Namen, Hunderte von Geschichten. Wieviel „fun“ verträgt der Mensch?

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