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■ Nebensachen aus MoskauOhne Frauen versinkt das Land im Chaos

Schon frühzeitig hat sich die Hauptstadt in Schale geschmissen. Heute ist es soweit. Rußlands rauschendstes Fest wird begangen, der Frauentag. Tage zuvor stimmen sich die Geschlechter ein. Statt rauhem Umgangston und schwermütigen Mienen erfüllen honigsüße Flötentöne den Äther und weltumarmendes Lächeln versetzt alle in einen rauschähnlichen Zustand. Hat sich die göttliche „Sophia“, die Weisheit als weibliches Weltprinzip, wie es Philosoph Wladimir Solowjow dereinst ersehnte, der Zerissenheit des irdischen Seins nun doch noch erbarmt ?

Wir ahnen es. Der Frau ist in Rußland eine tragende Rolle zugedacht. Boris Jelzin, wenn es die Gesundheit erlaubt, erweist der Abordnung verdienter Frauen im Kreml seine Reverenz wie jedes Jahr. Gerne lauschen sie ihm, wenn er über die Vorzüge des „schwachen Geschlechts“ fabuliert. In ihren Ohren klingt es wie eine Verheißung, die ein uneinlösbares Versprechen enthält.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Dreh-und Angelpunkt der Gesellschaft ist die Frau. Ohne ihre Widerstandsfähigkeit wäre das Land längst im Chaos versunken. In der Eigenschaft als Familienoberhaupt und Vater trifft man den Mann nur selten an. Er existiert in der Vorstellung, als ein idealisiertes Vaterimago. Die Realität nennt ihn einen Nichtsnutz, Säufer und Versager.

Von Kindesbeinen an muß sich ein Mann gegen Verachtung zur Wehr setzen. In der Schule, fast ausschließlich eine Domäne von Frauen, bevorzugen Lehrerinnen ihre sittsamen Schülerinnen. Jungen lernen infolgedessen schlechter und schaffen seltener den Sprung an die Universitäten. Am Ende steht die weibliche Klage, keinen intellektuell ebenbürtigen Partner zu finden.

Trotz notorischer Unzufriedenheit und Überlegenheitsgefühl rütteln die Enttäuschten nicht an den Grundfesten des Patriarchats. Im Gegenteil. Sie reproduzieren und verteidigen die unbegründete Vorherrschaft. So wird auch an diesem Tag im Kollektiv geschunkelt, gefummelt, kokettiert und der Chefhahn umgarnt. Die Sehnsucht nach einem romantischen Ideal, dem starken Mann, den das Leben vorenthielt, ist der Erfahrung überlegen.

Erfolgreiche Geschäftsfrauen sind einen Schritt weiter. Sollen die italienischen Möbel zur Geltung kommen, gehört ein ansehnliches Mannsbild zum Set.

Soziologen beschreiben Rußland als eine matrifocale Gesellschaft, in der die Mutter-Kind- alle anderen Beziehungen ersetzt oder überlagert. Alleinstehende Mütter beherrschen das Bild. Sprößlinge sind Partnerersatz und Sohn in einem. An der Schwelle zur Adoleszenz mutieren sie in verzogene, verantwortungslose Männer, die auch in der Ehe noch bemuttert werden wollen.

Nicht Oedipus, Orest macht den Russen zu schaffen. Der griechische Königssohn rächte sich an der Mutter, die ihren Gatten gemeuchelt hatte. Irgendwann rebelliert das entmannte Muttersöhnchen gegen alles, was ihm als Mutterfigur entgegentritt. Erhöhte Gewaltbereitschaft, Mord und Totschlag in der Familie sind die Folgen.

Die Chancen, sich vom Mutterkomplex zu befreien, stehen indes schlecht. Mütterchen Rußland ist omnipräsent, selbst das Kollektiv wirkt als Ableger der Übermutter. Bleibt nur ein Fluchtweg: die thalassiale Regression, zurück in den Uterus. „Ich kenne keine Geschlechter mehr, nur noch Menschen“, hatten die Bolschewiki und Erfinder des Frauentages damals siegesgewiß verkündet. Selbst das misslang ihnen gründlich. Klaus-Helge Donath

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