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■ Nachruf: Abschied von Oskar Lafontaine und Yehudi MenuhinRisiken und Chancen der Globalisierung

Am letzten Freitag trafen gleichzeitig zwei Nachrichten ein: der Rücktritt Oskar Lafontaines und der Tod Yehudi Menuhins. Was verbindet die beiden – den Geiger und den Politiker? Sie hatten beide mit der Globalisierung zu tun. Dem einen wurde sie zur Falle, der andere nahm sie als Chance.

Lafontaine wollte sich der Drohung der Wirtschaft, in Länder abzuwandern, die keinen Ausgleich zwischen Arm und Reich vornehmen, nicht unterwerfen. Er war damit keineswegs altmodisch. Altmodisch ist der Ultraliberalismus mit dem Prinzip des Laissez faire. Es stammt aus dem 18. und scheiterte bereits im 19. Jahrhundert, als die Massen in einem Maße verelendeten, daß nur noch staatliche Regulierung die Katastrophe verhindern konnte. Laissez faire hatte gegenüber der merkantilistischen Überregulierung zwar zunächst befreiend gewirkt; der in dem Prinzip behauptete Automatismus in Richtung auf das Allgemeinwohl trat aber nicht ein. Automatisch erfolgte hingegen die Verdrängung des freien Spiels der Kräfte durch eine wirtschaftliche Monopolisierung mit verheerenden Wirkungen.

Keiner der Befürworter des Neoliberalismus kann heute sagen, wie sich eine erneute Verelendung verhindern läßt. Keiner kann sagen, wo bei der Angleichung an die nicht sozial regulierten Länder halt gemacht werden soll: bei dem Verbot der Kinderarbeit, dem Mutterschutz, der Koalitionsfreiheit?

Lafontaine setzte darauf, daß die Drohung der Wirtschaft, in unregulierte Räume abzuwandern, leer ist. Tatsächlich nämlich kann von einer Abwanderung keine Rede sein. Kapital geht und Kapital kommt. Der Schutz der Investitionen vor sozialem Umsturz, den die Billigländer nicht liefern können, wird von der Wirtschaft sehr wohl geschätzt, und die Investitionsbilanz ist ausgeglichen. Im Vergleich zu dem Geiger war der Politiker aber doch altmodisch. Die Globalisierung, sagte Lafontaine, ist eine Vision, an die wir nicht glauben müssen. Yehudin Menuhin hingegen glaubte an die Globalisierung als eine gute Vision. Nach seiner Ansicht bereitete sie die Zentralisierung der Welt vor. Er bildete zusammen mit Peter Ustinov den Vorstand der World Federalist Movement, einer Bewegung mit dem Ziel eines Weltstaats. Bertrand Russell, Albert Schweitzer, Albert Einstein und Albert Camus gehörten ihr an. Sie hat das Motto: „Für eine gerechte Weltordnung durch eine reformierte und gestärkte UNO.“

Das Ziel ist nicht so utopisch, wie es auf den ersten Blick scheint. Alle Zeichen stehen auf Weltstaat. Es gibt eine objektive Tendenz dahin, daß die politische Ordnung genausogroß ist wie der Raum, in dem sich die Wirtschaft vereinigt. Diese Tendenz zeigt sich schon. Im Bereich der Justiz bildet sich eine Weltgerichtsbarkeit heraus, im Bereich des Militärischen tritt eine Umstellung auf weltpolizeiliche Maßnahmen ein, im Bereich der Ethik bildet sich ein Weltgewissen heraus.

Selbst diejenigen, die an der gegenwärtigen Anarchie des Weltmarkts verdienen, fordern – um seinen Zusammenbruch zu verhindern – die weltzentrale Kontrolle des internationalen Geldhandels. Es sind deshalb nicht nur Verrückte und Träumer, die hinter dieser Idee stehen. Yehudi Menuhin war weder das eine noch das andere. Aber – das muß man Lafontaine zubilligen – einem Geiger fällt es leichter, diese Position, auf die sich bisher noch keine Partei stellen mochte, einzunehmen. Menuhin war the Fiddler on the Roof, Chagalls Geiger auf dem Dach, der die Zukunftsmusik spielt. Sibylle Tönnies

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