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Naturschutz aus dem Weltall

Satelliten übertragen nicht nur Fernsehbilder, Wetterdaten oder militärische Geheimnisse auf die Erde, sondern auch Bilder, die zum Schutz der Natur eingesetzt werden  ■ Von Urs Fitze

Dort, wo es am lautesten knattert, beginnt der Nationalpark Donau-Drau im Süden Ungarns. Ein Bauer ist mit seinem Traktor und einem angehängten Strohwagen auf seinem Feld unterwegs. Gleich hinter dem Acker beginnt eine urwüchsige Natur. Hinter der Barriere aus Büschen und Gräsern eröffnet sich ein grandioser Ausblick auf die Flußlandschaft der Drau. Senkrecht bricht das Ufer 30 Meter tief ab. Einen Meter vor der Kante zieht sich ein kleiner Spalt durch die Erde. Vorsicht ist geboten: Jederzeit könnte hier ein Stück abbrechen.

„Eigentlich gibt es an dieser Stelle gar keinen Nationalpark mehr. Die Drau hat die paar ausgewiesenen Meter in den letzten Jahren verschluckt“, scherzt Martin Schneider-Jacoby, Geschäftsführer der Stiftung „Euronatur“, die sich mit verschiedenen Naturschutzprojekten an der Drau engagiert.

Das eigentliche Parkgebiet beginnt mit dem Fluß: In mächtigen Mäandern durchzieht die Drau das Grenzgebiet von Ungarn und Kroatien und hat eine einzigartige Landschaft geformt, wie es sie in Mitteleuropa nirgends mehr gibt. Das Land, das an der Aussichtsstelle verlorengeht, gewinnt der Fluß am andern Ufer wieder. Ein riesiger Auenwald ist dort entstanden, ein seit Jahrzehnten ungestörter Lebensraum für bedrohte Tiere und Pflanzen.

Während die kroatische Wasserwirtschaft mit einem neuen Kraftwerk am Oberlauf des Flusses dieses einzigartige Biotop zu zerstören droht, haben die Ungarn 1996 den gesamten Flußlauf über 150 Kilometer zum Nationalparkgebiet erklärt und damit die Weichen auf Sicherung und Erhaltung gestellt: Eine Aufgabe, für die nur bescheidene Mittel zur Verfügung stehen. Die Stiftung Euronatur engagiert sich schon seit acht Jahren an der Drau. Ein Schwerpunkt ist dabei die Kartierung und Bewertung des 490 Quadratkilometer großen Schutzgebietes.

„Doch nur mit genauen Karten ist es möglich, Kernzonen, in denen Menschen nicht wirtschaften, Entwicklungszonen mit einer naturnahen Bewirtschaftung und Pufferzonen auszuscheiden“, sagt Martin Schneider-Jacoby. Das bestehende Kartenmaterial über die Region ist jedoch veraltet. Eine Neuaufnahme wäre mit herkömmlichen Mitteln eine sehr zeitaufwendige Aufgabe. Doch es gibt eine Alternative aus dem Weltraum: Satellitenbilder. Landsat, Spot, ERS oder IRS-1c erfassen die Erdoberfläche mit einer Genauigkeit, die im Falle eines russischen Satelliten eine Auflösung von gerade mal fünf Metern erlaubt. Das ermöglicht es, sogar einzelne Bäume zu lokalisieren.

„Das Entscheidende ist aber die Aufbereitung der Bilder“, sagt Schneider-Jacoby. Denn was aus dem Weltraum in den Empfangsstationen ankommt, ist eine riesige Fülle von Daten. Im Rhythmus von 16 Tagen tastet der amerikanische Landsat seit 1972 auch die Drau-Region mit seinem optisch- mechanischen Scanner ab. Er zerlegt dabei die von der Erde ausgesandte elektromagnetische Strahlung mit einer Auflösung von 30 mal 30 Metern in sieben Spektralbereiche. Erfaßt wird dabei auch infrarotes Licht, was Rückschlüsse auf die Wärmeabstrahlung erlaubt.

Was auf der Erde ankommt, sind keine fertigen Analogbilder, sondern Datensätze, die es digital aufzubereiten gilt. Die Firma Dornier Satellitensysteme hat im Auftrag von Euronatur eine umfassende Satellitenkartierung der Drau-Region auf einer Länge von 300 und einer Breite von 150 Kilometern vorgenommen. Das ist wesentlich mehr als das eigentliche Nationalparkgebiet. „Wir möchten die ganze Region zum Biosphärenreservat machen“, erläutert Schneider-Jacoby den Unterschied. „Für die Ausarbeitung der Anträge an die Unesco und die Beurteilung der Landschaftsqualität bieten Satellitenbilder eine ideale Grundlage.“ Die Hälfte der Projektkosten von 600.000 Mark wurde dabei vom „Center for Earth Observation“, einer Institution der Europäischen Union, übernommen. Die Basis lieferten zwei Landsat-Datensätze vom Juli 1986 und August 1992.

Das Ziel ist keine Landkarte im herkömmlichen Sinn, sondern eine thematische Karte, die auf einen Blick Rückschlüsse über die jeweils vorhandene Naturlandschaft erlaubt. Jedem Landschaftstypus wird eine Farbe zugeordnet: Siedlungen sind rot, Wasserläufe blau, Äcker grau, Schilfbereich und Kiesbänke gelb, Wälder und Grünflächen in verschiedenen Grüntönen gehalten.

„Die Genauigkeit liegt bei mehr als 90 Prozent“, erklärt die Dornier-Kartographin Dagmar Ebert. Die Grenzen bei der Auswertbarkeit setzt die Auflösung: Bei einer Bildpunktgröße von 30 mal 30 Metern können kleinere Objekte nicht mehr erfaßt werden. Probleme ergeben sich auch bei der genauen Zuordnung: Ein Schilfgürtel und ein Maisfeld im Trockenzustand lassen sich kaum mehr unterscheiden. Deshalb werden im Gelände Stichproben aufgenommen, um die Resultate zu verifizieren. Für den ungeübten Betrachter am einfachsten zu interpretieren sind Darstellungen mit naturnahen Farben. Sie entsprechen weitgehend dem optischen Eindruck und sehen aus wie ein großformatiges Foto. Hochmoore, Wälder, Trockengebiete, Schilfzonen, Gewässerläufe und Siedlungen lassen sich problemlos unterscheiden. Damit lassen sich die Umrisse naturnaher Flächen erkennen und von beeinträchtigten Gebieten absetzen.

Viele Feinheiten werden aber erst mit einer „Falschfarbendarstellung“ sichtbar. Dann lassen sich beispielsweise unterschiedliche Grüntöne besser voneinander unterscheiden oder Feuchtgebiete exakt ausweisen. Entdeckt werden können so auch Umweltsünden: illegal erstellte Ferienhäuser an einem See, die Trockenlegung großer Feuchtgebiete oder Ölspuren auf dem Wasser. Die Erfassung des thermalen Spektrums läßt unterschiedlich warme Flächen sichtbar werden, zum Beispiel Felsgebiete mit dünner und fruchtbare Felder mit dicker Bodenkrume. Selbst die wandernden Kiesbänke auf der Drau lassen sich so exakt lokalisieren. 32 auf dem Datenmaterial von 1986 basierende Karten im Maßstab 1:50.000 werden nach Abschluß des Projekts im Herbst vorliegen. Die nächsten Schritte sehen eine vergleichende Analyse der Daten vom August 1992 vor, um so Veränderungen in der Landschaft erfassen zu können.

Im Endausbau könnte ein „Geographisches Informationssystem“ aufgebaut werden, wo am Bildschirm auf Tastendruck Detailinformationen zu jedem einzelnen Bildpunkt abgefragt werden können. Zwei Wiener Studenten haben mit ihrer Diplomarbeit schon Pionierarbeit geleistet: Aufgrund eines russischen Satellitenbildes haben sie den gesamten Drau-Nationalpark exakt kartiert, bewertet und digitalisiert. Das setzte allerdings monatelange Geländebegehungen voraus und hat zudem den Nachteil, daß die Daten rasch veralten können. In der Genauigkeit ist ihr Verfahren jenem der Dornier-Experten allerdings noch überlegen.

Für Martin Schneider-Jacoby macht die Auswertung von Fernerkundungsdaten Sinn: „Für den Betrag von rund 50.000 Mark steht uns eine Karte zur Verfügung, wie sie mit herkömmlichen Methoden nur mit erheblich größerem Aufwand zu realisieren wäre.“ Und für manche Regionen ist eine Satellitenkartierung das einzige Mittel überhaupt, um eine Landschaft erfassen zu können. Zum Beispiel im Wolga-Delta, das bis heute nicht exakt kartiert worden ist. Illegale Jagd und Brände, die gelegt werden, um neue landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen, bedrohen die Natur.

Doch eine Überwachung am Boden ist in einem Gebiet von der Größe Rheinland-Pfalz' fast unmöglich. Satellitenbilder werden deshalb zur Beobachtung von Veränderungen im Delta immer wichtiger. Sie zeigen, wo neue Inseln entstehen und Auwald abstirbt oder nachwächst. Die Auswertung von Landsat-Daten hat im Wolga- Delta auch schon ganz konkrete Auswirkungen gezeitigt: Zwei Schutzgebiete von zusammen der Größe des Bodensees sind nach Analyse von Satellitenbildern ausgewiesen worden – ein wichtiger Rückzugsraum für bedrohte Vogelarten.

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