Kommentar: Das Kosovo vor der Katastrophe
■ Die Albaner haben unterzeichnet - aber die Nato zögert
Im Kosovo zeichnet sich eine Tragödie ab, die das Drama vom letzten Sommer in den Schatten stellen könnte. Wochenlang hat man die Albaner gebeten, die Unterschrift unter das Abkommen von Rambouillet zu setzen, am Schluß mußten sie selbst betteln, es endlich tun zu dürfen. Denn bis zuletzt wollten die Vermittler den Serben noch ein Schlupfloch für Nachbesserungen offenhalten. Nun haben die Albaner unterzeichnet. Jetzt können die Vermittler also, was sie immer wieder öffentlich wünschten: Serbien unter Druck setzen.
Doch nun, wo die Schuld am Scheitern offensichtlich ist, zögert der Westen, die hundertfach geäußerte Drohung wahrzumachen, vielleicht weil Rußland sich sperrt, vielleicht weil völkerrechtlich umstrittenes Neuland betreten wird, wahrscheinlich, weil man am Erfolg zweifelt. Und diese Zweifel sind berechtigt.
Nato-Bomben bewirken politisch nämlich nur etwas, wenn man davon ausgeht, daß Milošević sie aus innenpolitischen Gründen braucht, um einen Rückzieher zu machen. Dies aber ist pure Spekulation. Was aber, auch dies ist vorerst noch Spekulation, wenn Milošević es tatsächlich auf einen Krieg ankommen lassen will, weil er weiß, daß ihn der Verlust des Kosovo mittelfristig die Macht in Belgrad kosten könnte?
Sollte diese zweite Hypothese zutreffen, kann man davon ausgehen, daß die serbischen Streitkräfte den Nato-Bomben zum Trotz mit aller Schlagkraft und Brutalität versuchen werden, die erstarkte UÇK-Guerilla zu vernichten. Und es ist durchaus zu erwarten, daß es dann zu Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung kommt, die jene vom vergangenen Sommer in den Schatten stellen und deretwegen das westliche Militärbündnis ja gerade auf den Plan gerufen wurde. Es bliebe der Nato nichts anderes übrig, als Bodentruppen zu schicken, was sie bislang kategorisch ausgeschlossen hat.
Gerade weil sie vor einem solchen Schritt zurückschreckt, verzichtet sie möglicherweise auch auf die Bomben. Aber auch in diesem Fall wird der Potentat von Belgrad sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, seine militärische Lösung durchzusetzen. Im Kosovo droht nicht nur die – nach Bosnien – zweite moralische und politische Kapitulation des Westens vor einem Kriegsverbrecher, sondern eine menschliche Katastrophe, von der auch die serbische Minderheit der Provinz nicht verschont werden wird. Thomas Schmid
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