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Ein Hauch von Palastrevolution

Die Grünen in Hessen wollen Amt und Mandat nicht trennen. Deswegen zog Matthias Berninger seine Kandidatur als Parteichef zurück. Rezzo Schlauch spricht von „schwerster Krise“  ■   Aus Hofheim Klaus-Peter Klingelschmitt

Die Parteibasis hat gesprochen: Keine Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat. Und derBundestagsabgeordnete Matthias Berninger wird nicht neuer Parteichef der Bündnisgrünen in Hessen. Auf der ersten Landesmitgliederversammlung nach dem Desaster bei den Landtagswahlen im Februar wurden die Dezernentin für Schule und Kultur in Darmstadt, Daniela Wagner (41), und Hartmut Bäumer (50) Regierungsdirektor in Gießen, zur Doppelspitze gekürt.

Wagner war ihrer Gegenkandidatin Uschi Wichmann haushoch überlegen, Bäumer schlug den ehemaligen Landtagsabgeordneten Roland Kern (51) aus dem Felde, der sich mit einer schwachen Rede um die Siegerchance brachte. Wagner und Bäumer wurden vom Parteitag beauftragt, bis zum Herbst ein „Reformpaket“ zu schnüren, das auch einen Vorschlag zur Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat beinhalten müsse, ebenso wie das Delegiertenprinzip bei Landesparteitagen. Mit großer Mehrheit hatte der Parteitag zuvor alle Anträge zurückgewiesen, die auf eine Satzungsänderung abzielten. Ein Hauch von Palastrevolution lag in der Luft.

Ratlos waren da die hessischen „Macher“ um Tom Koenigs, die mit der umgehenden Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat nicht nur dem Mandatsträger Berninger (MdB) den Weg an die Spitze der Landespartei ebnen wollten. Ein Signal für die strukturelle Erneuerung auch der Bundespartei sollte von einer entsprechenden Entscheidung in Hessen ausgehen. Das sei „versiebt worden“, beklagte Antje Vollmer am Rande des Parteitages. Und Berninger sei „etwas unfair behandelt“ worden.

Der Verlierer des Tages war Matthias Berninger (28). Ganz offenbar wollte sich die Basis von ihrem „Überbau“ in Bonn und in Wiesbaden nicht schon wieder einen Kandidaten vorsetzen lassen. „Übertaktiert“ hätten die „Macher“ diesmal, stellte etwa „Basismann“ Holger Tanzki vom Kreisverband Offenbach-Land fest. Denn als klar war, daß die in Hofheim versammelten Grünen nicht bereit sein würden, für Berninger ihre Satzung aktuell zu ändern, zog Berniger seine Kandidatur zurück. Er habe einer Entscheidung für die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat nicht im Wege stehen wollen, sagte Berninger anschließend zur taz. Die knapp 500 Parteimitglieder drehten den Spieß kurzerhand um: „Warum sollen wir jetzt übereilt die Satzung ändern, wenn Berninger gar nicht antritt?“, hieß es. Alle anderen Bewerber könnten schließlich aufgrund der bestehenden Satzung kandidieren.

In der Analyse der Situation, in der sich die Grünen nach der verlorenen Hessenwahl – und den Querelen in Bonn – generell befinden, waren sich zuvor alle einig gewesen. Es gehe heute um das „politische Überleben“ der Partei, konstatierte etwa Rezzo Schlauch, Fraktionvorsitzender der Grünen im Bundestag. „Wir stecken in der größten Krise seit 1990“, sagte Schlauch. Damals waren die Grünen aus dem Bundestag gekickt worden. Das sei ein „Knalleffekt“ gewesen, der einen Lernprozeß in Gang gesetzt habe. Der „Zerfallsprozeß“ heute sei dagegen „schleichend“ und deshalb schlimmer. Schlauch warnte: „Wir laufen auf den Abgrund zu.“ Scharf ging er mit seinem „Parteifreund“ Jürgen Trittin ins Gericht. Die vom Bundesumweltminister angestoßene Diskussion über eine mögliche Koalition der Grünen mit der CDU sei „absurd“. Das „einfache Parteimitglied“ Hubert Kleinert attestierte Trittin „fortschreitenden Realitätsverlust“. Die Grünen insgesamt seien zur „langweiligen Funktionärspartei“ verkommen. Und eine „hochgradige Vermachtung“ präge das Erscheinungsbild, es gebe „zuwenig Herzblut“.

Das vergoß dann Daniela Wagner; und der Parteitag lag ihr zu Füßen. Die Grünen müßten sich endlich gegen die „Demütigungen“ durch den Kanzler wehren, ohne gleich die Koalition in Frage zu stellen. Schröder raube der Partei ihre Würde, empörte sich Wagner. „Satzungsänderung? Wir haben wahrlich andere Probleme.“ „Herz und Leidenschaft“ müsse die Partei wieder zeigen. Und mit Blick auf den „liberalen Bonner Familienpolitiker Berninger“ zitierte sie Joschka Fischer. „Ein 70 Jahre alter Hitzkopf ist mir lieber als ein junger Langweiler.“ Da standen die Bündnisgrünen in Hessen vor Begeisterung auf den Stühlen. Minutenlanger Applaus für Wagner, die auch keine Notwendigkeit sieht, die „Grundwerte“ der Partei in Frage zu stellen, die Kleinert zuvor benannt hatte: „Ökologisch, sozial, freiheitlich.“

Portrait Seite 11

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