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Luther hilft - ein Gesetz zum Todeschuß dagegen nicht

■ Die CDU dringt auf gesetzlichen Todesschuß. Eine Anhörung gestern jedoch ergab: Keine reale Verbesserung, aber große Gefahren. CDU und SPD beschließen Asog-Verschärfung

In einem Punkt waren sich die ExpertInnen gestern immerhin einig: eine rechtliche Regelung des sogenannten finalen Rettungsschusses im Landespolizeigesetz (Asog) bringt in der Praxis real keine Vorteile. Auch in den Bundesländern, die längst eine solche Regelung haben, ist keine Geisel mehr oder weniger aus den Händen eines Geiselnehmers gerettet worden.

Die Berliner CDU will den Todesschuß ins Asog einführen, die PDS wie die Bündnisgrünen stimmen vehement dagegen, und die SPD hält eigentlich nichts davon, wollte aber gerne noch Stellungnahmen aus berufenen Munde. Zu diesem Zweck führte der Innenausschuß gestern eine Expertenanhörung durch.

Ministerialdirektor Wolfgang Lutz aus Baden-Würtemberg war gestern mit seiner Position unter den ExpertInnen allein. Er wies insbesondere darauf hin, daß mit der derzeitigen Rechtssituation ein Polizeischütze einen Todesschuß ausschließlich als Privatperson zu verantworten habe. Um dem Polizeibeamten, der schließlich nicht als Privatperson, sondern im gesetzlichen Auftrag handeln müsse, zu entlasten, drängt Lutz auf die Einführung des Schusses ins Asog. Auf Nachfrage konnte er jedoch auch keinen Fall nennen, in dem die fehlende Rechtsgrundlage zum Nachteil einer Geisel geführt hat. Auch eine andere Behandlung eines polizeilichen Todesschützen durch die Gerichte auf Grundlage der hoheitlichen Regelung war ihm nicht bekannt.

Nach Rechtsauffassung von Staatsanwältin Sigrid Nielsen jedoch muß auch für Polizeibeamte das Jedermann-Recht gelten. Das heißt, daß auch Polizeibeamte nach den Kriterien der Notwehr oder der Nothilfe beurteilt werden müssen. Eine rechtliche Regelung könne die Beamten davon nicht befreien und insofern auch nicht entlasten. Dieser Auffassung schloß sich auch Thomas Wüppesahl, Sprecher der Kritischen Polizeibeamten, an. Selbstverständlich sei es keine Frage, daß die Möglichkeit eines tödlichen Schusses für einen Polizeibeamten gegeben sein müsse. Eine rechtliche Regelung würde in seinen Augen jedoch einen „staatlich normierten Todesschuß“ bedeuten. Dies sei mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht vereinbar und deshalb verfassungswidrig.

Die Verfassungsmäßigkeit, befand dagegen der Staatsrechtler Eggert Schwan, sei nicht das Problem. Er betrachetete die Frage grundsätzlicher: eine gesetzliche Regelung welcher Art auch immer bedeute, „die Schleusen für staatliches Töten zu öffnen“. Deshalb plädierte er dafür, die Realität zu akzeptieren, daß es Ausnahmesituationen gebe, in denen ein tödlicher Schuß notwendig würde, und es dann mit Martin Luther zu halten: „Ich stehe hier, ich kann nicht anders, es gibt keine Gesetzesgrundlage, Gott helfe mir, Amen.“

Angesichts dieser realen Situation der Unmöglichkeit, solche Grenzfragen rechtlich zu regeln, befand Schwan aber noch eines: Die Diskussion erfülle angesichts dessen, was der Ausschuß im Anschluß noch diskutieren wolle, nur eine Ablenkung von einer geplanten „Vergewaltigung des Rechtsstaates“ – im Anschluß diskutierte der Innenausschuß nämlich die von CDU und SPD gewollte Verschärfung des Asog mit der Einführung von Elementen der Schleierfahndung und von Aufenthaltsverboten. Nach heftiger Diskussion beschloß die Große Koalition dies gestern ebenso wie die Ausweitung der Befugnisse des Freiwilligen Polizeidienstes. Barbara Junge

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