: Realistische Langeweile
■ Die Kreuzberger Patrioten riefen zur Generalmobilmachung auf. Partystimmung mit markigen Sprüchen gegen Krieg auf dem Balkan
Blut soll fließen, Mütter sollen ihre gefallenen Söhne beweinen, den Kriegssegen ein Papst mit Bundeswehrlogo erteilen, der das Weihwasser per Klobrille versprüht. Zum gestrigen Karfreitag hatte die Spaßguerilla „Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum“ (KPD/RZ) zur „Generalmobilmachung“ aufgerufen, um gegen den Nato-Einsatz in Jugoslawien zu demonstrieren.
Etwa 300 waren gekommen. Es waren die üblichen Verdächtigen: Anhänger der Anarchistischen Pogopartei, Autonome und Hausbesetzer, die sich am Heinrichplatz versammelt hatten. Mit sich führten sie Transparente wie „Blut muß fließen“, „Tot machen“ oder „Opfer müssen verzichten können“. Auch der Kanzler bekam sein Fett ab: „Miloevic minus Inge Meysel ist gleich Gerhard Schröder“, stand auf einem Laken. Doch außer markigen Sprüchen war nicht viel zu holen. Fragen nach dem Für und Wider des Einsatzes oder nach der Not der flüchtenden Albaner waren fehl am Platz. „Krieg ist wie eine Ampel“, ließ sich schließlich einer zum Reden herab, „erst ist sie auf Rot, bei Grün fängt der Krieg an“. Seine Gründe, gegen den Nato-Einsatz auf die Straße zu gehen, benannte er so: „Mein Balkon wird gerade renoviert, und ich will etwas Sonne abkriegen.“ Ein anderer gab an, „aus realistischer Langeweile“ dabei zu sein. Ein blutiger Krieg als tolles Partylogo.
Nach einer „Sitzblockade“ von einem Peace-Flower-Trio setzte sich der von einem großen Polizeiaufgebot begleitete Zug in Richtung Oranienstraße zum Landesverband der Grünen in Bewegung. „Durch konsequente pazifistische Hintertreibung versuchten die Grünen, den Krieg hinauszuzögern“, so ein Sprecher der KPD/RZ. Nachdem die Toreinfahrt mit Transparenten vollgestellt wurde und sich einer mit „Blut muß fließen“ fast die Kehle aus dem Hals schrie, ging's weiter zum Urban-Krankenhaus. Schweigen wurde verordnet, und es wurde geschwiegen. Denn: „Wer rumbrüllt, wirkt wehrkraftzersetzend.“
Ziel des Zuges in annähernder Bataillonsstärke war das Kriegerdenkmal in der Baerwaldstraße. Die Inschrift „Unseren gefallenen und vermißten Kameraden beider Weltkriege zum ehrenden Gedenken“ war in Windeseile mit Transparenten wie „Sturm, brich los“ und „Spart Gas für die Rüstung“ bedeckt. Während es sich das Peace-Team mit Gitarre auf den Stufen bequem machte, stieg ein Typ mit Stahlhelm auf den Kopf des Kriegers und war ganz aus dem Häuschen. Das sind die ausklingenden 90er Jahre.
B. Bollwahn de Paez Casanova
„Mein Balkon wird renoviert, und ich will Sonne.“ „Krieg ist wie eine Ampel: Erst ist sie rot, bei Grün fängt der Krieg an.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen