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Das Auge mitten im Kopf

■ Der Techno-DJ Sven Väth war bei der österlichen Rave im Pier 2 mal wieder in Marathonlaune / Ungezählte 1.500 Tänzer dankten es ihm

Dum – dum – dum – dum. Dum taka dum taka dum taka dum taka ... Die Nachbarin unten im Haus hat einen nervtötenden Musikgeschmack. Dum taka dum taka dum taka dum taka. Dum dizzldizzl dum dizzldizzl dum dizzldizzl dum dizzldizzl ... Immer, wenn sie zu Hause ist und Musik hört, hört sie nur dieses Gehämmer. Dum taka dum taka dum taka dum dum taka dum taka dum taka broooaaaaaammmmmm ... Es dringt durch das ganze Haus, bis irgendjemand anderes in einem anderen Takt hämmert, und es wieder stiller ist.

Die Nachbarin hört Techno. Sie ist eine Raverin. Zu Ostern fährt sie wie ungezählte 1.500 andere Raver (toben, rasen, ekstatisch tanzen) aus ganz Norddeutschland auch ins Pier 2 in Bremen-Gröpelingen. Denn nicht nur zu Ostern, aber oft zu Ostern verwandelt sich das Pier 2 in eine einzige, mit wummernden Maschinensounds, Lichtstakkati und Nebelschwaden überzogene Tanzfläche. Neben den DJs Thomas Schumacher und Oliver Huntemann hat sich diesmal Sven Väth angesagt, und der erste deutsche Techno-Superstar zieht auch nach zehn Jahren Techno-Welle noch immer die Massen an.

Abends um zehn ist davon noch nichts zu ahnen. In den Zeitungen war die Anfangszeit mit 22 Uhr angegeben, nur auf den Flyern nicht. Doch die Raver lesen offenbar nur Flyer. Denn erst um elf Uhr bildet sich langsam eine britisch gesittete Schlange vor dem Einlaß für die zweite Timewarp. Drinnen in der Halle fährt jemand die Lautstärke hoch, und draußen sagt einer jedem, der es wissen will: „Um Mitternacht ist die Bude voll. Und Sven Väth kommt sowieso frühestens um zwei.“ Sven Väth ist einer der gefragtesten, Techno-DJs hierzulande. Es gibt Leute, die verehren den Frankfurter als Mister Techno, weil sie ihn aus Clubs wie dem „Dorian Gray“ und dem „Omen“ oder auch von seinen Platten kennen. Andere hassen ihn für Ausflüge in den Kitsch und seine Fähigkeit zur Selbstinszenierung. Aber wer ihn haßt, kommt nicht aus Leer, Hannover oder Osnabrück hierher, zahlt 30 Mark Eintritt und fünf Mark fürs Bier.

Die Tanzfläche füllt sich. Später drängen die Leute auch auf die Empore. Lustig der Typ da vorne, dem Hose und Unterhose beinahe seinen dürren Beckenknochen hinabrutschen. Bedauernswert das Schmollgesicht da hinten, das auch in hundert Jahren noch auf einer Party herumschmollen wird. Eine Frau im Latex-Outfit schautanzt derweil auf einem Podest. Ein anderer, der bestimmt schon mit Zappa das Musikhören angefangen hat, strampelt sich gleich in der Nähe ab. Von irgendwoher, also von überall her ekstatische Schreie der Begeisterung. Niemand drängelt, keine Aggression nirgends. Und du hörst schon längst dein eigenes Wort nicht mehr, weil sich Luft- und Speiseröhre in zwei Baßsaiten verwandelt haben und die Lunge eine Bass drum geworden ist.

Es gibt „schwarzen“ und „weißen“ Techno. Ach, blödes schwarz-weiß-Gerede. Quatsch ist jedenfalls, daß die Beats per Minute, die bpm-Zahlen entscheidend sind. Entscheidend ist, daß es dumpfbackigen Pitbull-Techno und fein strukturierte tanzbare Soundscapes gibt. Der Grundtakt bleibt fast immer gleich. Doch die Unterrhythmen variieren ständig, steigern sich, flauen ab, um schließlich wieder einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Irgendwann fängst du, wenn du es nicht für immer bleiben läßt, mit dem Tanzen an.

Du bewegst dich auf der Herzrhythmuskurve, bleibst auf dem einfachen Takt. Doch dann macht sich der Unterleib selbständig, und die Füße schnellen auf den Achteln und Sechzehnteln als wäre der Boden zu heiß, um stehen zu bleiben. Dieses Tempo ist nicht durchzuhalten. Doch du hälst es durch. Immer weitere Taktstakkati legt der DJ in den Mix. Ein Klangebilde wabert um dich herum. Quadrophonie. Der Nebelwerfer, der selbst bei größter Lautstärke noch immer zu hören ist, stößt eine neue Wolke Trockeneis über der Tanzfläche aus. Du wirst zugedröhnt mit Beats, Rhythmen, Licht und Geruch, doch das Gedröhne hat wie bei einem Hurricane ein „Auge“. Und das Auge – hell und klar – ist mitten in deinem Kopf. Du bist vollkommen allein unter all den anderen. Keine Musik hat solch eine Wirkung.

Sven Väth hat nicht um zwei, sondern erst um halb drei die Regler übernommen. Um zehn Uhr morgens hat dieser ausdauerndste aller DJs noch nicht aufgehört. Wer nicht so lange durchhält, kann seine CDs hören. Und Nachbarn nerven mit dum – dum – dum – dum. Dum taka dum taka dum taka dum taka ... ck

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