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Ausgeschlossen: Deeskalation am 1. Mai

■ Die Front gegen geplante NPD-Demo am 1. Mai wächst/ Streetworker sind derweil auf Achse und sprechen mit rechten Jugendlichen, aber: „Wir machen nicht die Helden“

Rechte Jugendliche? Mit denen will kaum jemand zu tun haben. Im Bremer Verein für akzeptierende Jugendarbeit jedoch sind sechs von 23 MitarbeiterInnen zumeist als Streetworker unterwegs, um den Kontakt zu dieser oft gewaltbereiten Gruppe Jugendlicher zu halten. Die taz wollte wissen, wie die Jugendarbeit im Vorfeld der angekündigten NPD-Demo am 1. Mai im Bremer Osten zur Zeit aussieht.

taz: Was machen die Mitarbeiter der akzeptierenden Jugendarbeit am 1. Mai, falls die NPD in Bremen marschiert?

Wolfgang Welp: Falls es zu der Kundgebung kommt, werden wir nicht als Verein auftreten oder aktiv werden. Welchen Auftrag sollten wir als Sozialarbeiter dort haben? Deeskalieren zwischen Rechten, Polizei und Antifa? Bei den Menschenmassen, die wir nicht kennen, kämen wir schnell zwischen die Fronten.

Imke Sonnenberg: Bei vielleicht 5.000 Rechten mit sechs Personen eine Eskalation zu vermeiden, das wäre nicht möglich.

Welp: Natürlich fragen wir uns, was Streetwork bei solchen Demonstrationen machen kann. Im letzten Jahr sind einige Streetworker zu dem Nazi-Aufmarsch nach Leipzig gefahren und haben sich direkt in die Menge hineinbegeben und versucht, zu deeskalieren. Wir konnten nicht herausbekommen, welche Kollegen das waren, aber im Kollegenkreis wurde das scharf verurteilt. Bei einer Veranstaltung der Rechten mit Mitteln der Sozialpädagogik einzugreifen – das ist der absolut falsche Ort. Uns würde das nicht im Traum einfallen.

Und zu größeren Musikveranstaltungen – geht Ihr da hin?

Welp: Das kommt vor, auch wenn sowas eher die Ausnahme ist. Während der Veranstaltung werden wir nicht sozialpädagogisch tätig. Vielleicht im Vorfeld oder danach. Wenn wir auf eine solche Feier eingeladen werden, verstehen wir uns primär als Gäste – nicht mehr und nicht weniger. Der Ort, um aktiv zu werden, sind Alltagszusammenhänge und nicht „Highlights“.

Sonnenberg: Bei solchen Besuchen gibt es aber berufliche und persönliche Grenzen. Wenn auf einer Massenveranstaltung „Sieg Heil“ skandiert wird oder der Alkoholpegel ins Unerträgliche steigt, dann distanziere ich mich deutlich erkennbar von dem Geschehen. Diese Abgrenzung führt in der Regel zu einer konstruktiven und konfrontativen Auseinandersetzung.

Welp: Es gibt in der rechten Szene natürlich Kritik an Streetworkern. Gerade in einer Massenveranstaltung könnte das natürlich auch unangenehm oder sogar gefährlich sein. Wir wägen dann auch Risiken ab, denn wir müssen nicht die Helden spielen.

Auf politische Veranstaltungen geht Ihr nicht?

Welp: Nein, grundsätzlich nicht.

Was macht Ihr jetzt, im Vorfeld, mit diesen rechten Jugendlichen? Der 1. Mai ist doch sicher Gesprächsstoff?

Sonnenberg: Allerdings. Wir suchen das Gespräch mit den Jugendlichen, um Fragen aufzuwerfen wie: Was bezweckt die NPD mit ihrem Marsch? Was ist der 1. Mai historisch für ein Tag? Werden die Jugendlichen teilnehmen?

Wollt Ihr die Jugendlichen so von einer Teilnahme abhalten?

Sonnenberg: Eine solche Veranstaltung hat einen Riesenreiz auf Jugendliche: Wenn sich da 5.000 Leute versammeln, Parolen skandieren und ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, wenn dann noch alles straff durchorganisiert ist, wirkt das als enorme Selbstbestätigung. Wir können nur versuchen, den Jugendlichen deutlich zu machen, daß sie sich nicht von der NPD instrumentalisieren lassen sollen.

Welp: Bei der JN (Junge Nationaldemokraten, Jugendorganisation der NPD, Anm. d. Red.) ist ja einiges geschehen. Sie ist eine Sammelbewegung von ehemaligen neonazistischen Kadern und Gruppierungen und von rechtsradikalen Kräften geworden. Gleichzeitig funktioniert die Anbindung an die Traditionspartei NPD. Die hatte bis zum Führungswechsel 1996 immer Schwierigkeiten mit ihrem Nachwuchs. Die JN kommt den jugendlichen Bedürfnissen entgegen: Einerseits sorgt sie für „Action“, andererseits wird nicht mehr unbedingt eine Parteibindung verlangt.

Sonnenberg: Es gibt außerdem eine thematische Aufteilung: Die einen organisieren nur Aufmärsche, die anderen Musikveranstaltungen. Da kann sich jeder aussuchen, was ihn interessiert.

Welp: Dadurch ist die JN sehr beweglich geworden. Ein Jugendlicher kann an einem Tag auf ein Techno Event oder auf die Love-Parade gehen und am nächsten Tag mit der JN marschieren. Diese Widersprüchlichkeit wird inzwischen zugelassen, und das macht die JN sehr schlaggkräftig.

Wie stark ist die JN in Bremen?

Welp: Seit Markus Prievenau (lange Jahre JN-Chef, Anm. d. Red.) nicht mehr in Bremen lebt, ist für uns nicht mehr ganz durchschaubar, wieviele Bremer Mitglieder noch aktiv sind. Nach seinem Weggang hat sich die JN in Bremen offiziell aufgelöst, aber zugleich in andere Organisationen umbenannt: Freie Nationalisten, eine Reihe von Kameradschaften, die mehr oder weniger viel mit der JN zu tun haben. Jetzt hat Christian Worch den Bereich Bremen und Umzu kommissarisch übernommen.

Heißt das, daß Worch öfter mal in Bremen ist?

Welp: Er wurde zumindest öfter gesehen.

Von linker Seite wird Euch immer wieder vorgeworfen, die rechte Ideologie hoffähig zu machen. Was ist da dran?

Welp: Auch wenn Rechte extreme Auffassungen haben und unsere politischen Gegner sind: Für uns ist es tatsächlich einer von mehrern Wegen, sich mit den Fragestellungen, die diese Jugendlichen haben, auseinanderzusetzen. Viel von der rechtsextremen Verhärtung und Ideologisierung kommt auch daher, daß ganz gewöhnliche, zentrale Fragen nicht beantwortet werden, die die Jugendlichen haben. Diese Verweigerung einer Konfrontation bestärkt die Jugendlichen in ihrer Tendenz. Da wollen wir einen anderen Weg gehen.

Erwartet man nicht verdammt viel von der Gesellschaft, wenn man verlangt, daß die sich mit solchen dummdreisten Positionen auseinandersetzen soll?

Welp: Das sehe ich genau umgekehrt: Die Diskussionskultur der Gesellschaft ist desaströs. Mit rechten Argumentationen will man sich nicht auseinandersetzen, weil man sie womöglich nicht zu entkräften wüßte. Wenn Lehrer sich mit der sogenannten Auschwitz-Lüge nicht mehr auseinandersetzen wollen, weil sie das empörend finden – dann reicht das nicht. Wir erleben rechte Jugendliche als ausgesprochen diskussionsfreudig und auch offen.

Die Gefahr besteht, daß Ihr damit den Rechten eine Plattform bereitstellt, auf der sie sich präsentieren können ....

Welp: Wir gehen immer mehr dazu über, uns die Diskussionen von den Jugendlichen nicht aufdrängen zu lassen. Wir fordern sie selber und bereiten das auch vor. Damit versuchen wir ja auch, Diskussionskultur zu üben. Es geht also erst um die Form, dann erst um den Inhalt.

Ist das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit gescheitert, wie die Antifa behauptet? Die wirft Euch ja vor, daß Ihr den Rechten eine Plattform bietet.

Welp: Nein, wir sind nicht gescheitert. Hier in Bremen wurde das Grundprizip der akzeptierenden Jugendarbeit entwickelt. Die Idee war, daß es sich lohnt, mit rechten Jugendlichen zu arbeiten, solange sie eine Minderheit oder eine Randgruppe sind.

In den neuen Ländern Osten stehen wir inzwischen aber vor der Situation, daß rechte Ideologie unter Jugendlichen mehrheitsfähig ist. Außerdem wurde das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit falsch in die Projektarbeit der neuen Länder übertragen. „Akzeptieren“ wird da übersetzt mit „gutheißen. Insofern ist die akzeptierende Jugendarbeit in den Neuen Ländern gescheitert.

Warum lief das im Osten so schief?

Welp: In der Wendezeit sind Menschen eingestellt worden, die keine sozialpädagogische Ausbildung hatten. Fachhochschulen für Sozialpädagogik wurden erst gegründet. Wir sehen da einen Mangel an Professionalisierung: Minimalstandards werden nicht eingehalten. Die Arbeitsbedingungen sind zudem so schlecht, daß den Sozialarbeitern noch nicht mal eine Feuerwehrfunktion zukommt. Ein großer Teil der Arbeitsverträge sind auf ABM-Basis. Es gibt so gut wie keine praxisbegleitenden Instrumente wie Supervision oder Beratung. Die KollegInnen haben kaum Möglichkeiten, das zu reflektieren, was sie tun. Dabei laufen sie Gefahr, in den Strudel von jugendlichen Lebenswelten eingesogen zu werden.

Sonnenberg: Sozialarbeiter wurden immer dann verstärkt, wenn es zu schlimmen Vorfällen wie in Hoyerswerda kam. In aller Eile wurde das 20 Millionen-Programm „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ umgesetzt, aber es gab zu wenig qualifizierte Bewerber. Die Probleme bestehen heute weiter, aber das Programm ist 1996 ausgelaufen.

Was muß geschehen?

Welp: Einerseits muß die Ausstattung verbessert werden. Andererseits steht auch ein Paradigmenwechsel an: Linke Jugendliche sind im Osten in der Minderheit und es ist wichtig, auch ihnen Orte zu schaffen, an denen sie sich frei bewegen können.

Fragen: Christoph Dowe

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