: Leicht, laut und luftig
Im Wasserparadies Fürstenberg an der Havel beginnt die einzige Draisinenstrecke Deutschland. Auf Eisenrädern durch Brandenburg ■ fuhr Sven-Michael Veit
Aufrecht, mit ausgebreiteten Armen genieße ich den Fahrtwind. Ist natürlich streng untersagt, aber was macht's. Ich stehe hinten auf dem kleinen Gepäckgitter, und C. sitzt vorne und strampelt. Draisine fahren ist leicht, lustig und laut. Eisenräder rattern auf Eisenschienen, genauso muß es klingen.
C. bremst, durch den abebbenden Fahrtlärm dringt ihre ungehaltene Stimme an mein Ohr. Ob ich verrückt sei, bei 40 Stundenkilometern da herumzuturnen. Spielverderberin.
Knapp 30 Kilometer lang ist Deutschlands angeblich einzige, auf jeden Fall aber Hamburg am nächsten gelegene Draisinenbahn. Zwischen Fürstenberg, das sich selbst „die Wasserstadt“ nennt, und Templin, der architektonisch reizvollen „Perle der Uckermark“ etwa 80 Kilometer nördlich von Berlin, führt eine stillgelegte eingleisige Eisenbahnstrecke nahezu eben durch Wald und Heide, an diversen Seen entlang und immer wieder über die Havel. Wenn das etwa eineinhalb Zentner schwere Stahlgefährt erstmals in Schwung gebracht ist, fährt es sich mit weniger Kraftaufwand als ein Fahrrad.
Aber natürlich sollte mensch sich den ganzen Tag Zeit nehmen, geruhsam vor sich hintreten und gelegentlich ein Päuschen einstreuen. Empfehlenswert ist ein Abstecher zu der Kleinstadt Lychen auf halber Strecke. Die 750 Jahre alte Stadt liegt malerisch zwischen drei Seen und hat eine gut erhaltene Stadtmauer sowie ein Flößermuseum zu bieten. Oder man wandert zu dem etwa einen Kilometer von der Strecke entfernten Kloster Himmelpfort auf einer schmalen Landzunge zwischen vier Havel-Seen.
Am Ortsrand von Fürstenberg liegt das ehemalige Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Etwa 150.000 Menschen, fast ausschließlich Frauen und Kinder, wurden hier ab 1938 von den Nazis eingepfercht, mehr als ein Drittel von ihnen wurde ermordet. Das weiträumige Gelände am Schwedtsee, nur etwa 400 Meter von der Bahnstrecke entfernt, ist seit 1959 eine Gedenkstätte.
Von deren Hof hat man einen unbehinderten Blick über den See auf das weniger als einen Kilometer Luftlinie entfernte Fürstenberg: Wer sehen wollte damals, hat gewußt.
Die Fürstenberger übrigens verschweigen das dunkelste Kapitel in ihrer mehr als 700jährigen Stadtgeschichte keineswegs. Die Gedenkstätte ist gut ausgeschildert und wird in Broschüren und Stadtführern ausführlich beschrieben, Touristeninformation wie PensionswirtInnen weisen Gäste ausdrücklich darauf hin.
Die Gedenkstätte ist von der Stadt auch problemlos mit dem Kanu oder Paddelboot zu erreichen. Der Schwedtsee und die beiden kleineren Seen, zwischen denen die Kleinstadt liegt, werden natürlich ebenfalls von der Havel durchflossen. An vier Ausleihstationen können Boote oder auch Floße für ein paar Stunden gemietet werden – oder auch für zwei Wochen.
Nach Nordwesten geht's in die Müritz im Zentrum der Mecklenburgischen Seenplatte; in südöstlicher Richtung gelangt mensch nach Berlin und Potsdam, erreicht Tage später bei Havelberg die Elbe und mit ausreichender Kondition irgendwann auch Hamburg.
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