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Ein Amor aus Marmor

Röcke lassen sich aufklappen, Frauenfiguren umkippen – In zwei Jahrhunderten wurde Delikates gesammelt – Die erotische Kollektion der Zaren ist im Schloß Britz zu bewundern  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Wenige kennen mehr von Britz als die Hits aus Britz von Möbel Tegeler, und wahrscheinlich waren mehr Berliner in Mallorca als im ländlichen Rand von Neukölln, in dem die kleine Onkel-Bräsig-Straße dem Besucher einen Schönen Guten Tag wünscht und das 293 Jahre alte Schloß Britz, das der Volksmund mal Schloß taufte, obgleich es eher ein Herrenhaus ist in romantischen Gartenanlagen, zu Frühlingsausflügen einlädt.

1989 begann die Kulturstiftung Schloß Britz mit dem Staatlichen Museeum Zarskoje Selo in der ehemaligen Sommerresidenz der russischen Zaren in Puschkin/ St. Petersburg zusammenzuarbeiten. Man organisierte diverse Ausstellungen, in denen es vor allem um die Prunkgeschichten der russischen Herrscherdynastie ging.

Seit dem Osterfest kann man nun in vier Räumen die Erotiksammlung der russischen Zaren bewundern. Die delikaten Sächelchen – Bilder, Spielkarten, Porzellanfiguren, Regenschirmgriffe, Ofenkacheln usw. – wurden von ihren Besitzern und Besitzerinnen – von der „lebenslustigen“ Kaiserin Elisabeth Petrowna über Katharina die Große, Nikolaus I., Alexander II. und III.; nur der letzte russische Zar war desinteressiert – in zwei Jahrhunderten zusammengetragen und standen in Privatkabinetten des Katharinenpalastes in Zarskoje Selo. Nach der Revolution galten sie als Beleg für die moralische Verkommenheit der Zaren.

In den fünfziger Jahren wurden viele Exponate vernichtet und liegen leider nur noch als Beschreibung lüsterner Lüster und ausschweifender Polsterdrehstühle vor. „Nur ein Schritt trennt den Mächtigen vom Privaten, und die Ausstellung gemahnt auf originelle Weise daran, daß den gekrönten Herrschern nichts Menschliches fremd war.“ Wir entdecken ein übriges Mal, wie treffend der Volksmund formuliert: „Der Mensch mag noch so bedeutend sein, in seinem Denken kann es auch allzu menschliche Dinge geben“, schreibt Professor Iwan Sautow, Generaldirektor des Partnermuseums Zarskoje Selo, im Katalog.

Vor den sozusagen privateren Räumen steht eine hübsche, lebensgroße geflügelte Amorfigur aus Marmor, die kokett-verschwiegen einen Zeigefinger sanft an die Lippen legt. Der zweite Raum wird vom „Bacchanal“ dominiert, einer Auftragsarbeit des Nestors der russischen Malerei, Karl Brüllow (1799 – 1852), die er für das Arbeitszimmer des Kaisers Nikolaus I. angefertigt hatte. Wie in vielen der ausgestellten Dinge ist das Obszöne hier wörtlich zu nehmen als das, was sich jenseits der Szene nur im Verborgenen zeigt. Während der vordere Teil des aufklappbaren Bildes eine anmutig-geheimnisvolle Odaliske zeigt, ergehen sich im abschließbaren Inneren Nymphen, Satyrn und Faune mythologischen Ausschweifungen. Der eigentliche Held des Bildes ist ein feister Weingott, der sich mit betrunken-erhitztem Gesicht und steifem Glied rotwangig-faul zurücklehnt und die aktiveren Tätigkeiten seiner Festgenossen betrachtet. Das Bild durfte bis heute in Rußland nicht gezeigt werden, erzählt Larisa Bardowskaja, die Chefkustodin des Staatlichen Museums in Zarskoje Selo. Skandalon ist dabei nicht so sehr das orgiastische Bild, sondern die Vorstellung, daß sich der Zar daran erfreute. Mit kleinen Geheimnissen arbeiten viele der Dinge: Röcke lassen sich aufklappen, hübsche Damenfiguren kann man umkippen, so daß man dann alles sieht. Es gibt Schnupftabaksdosen aus Deutschland um 1760, auf deren Deckeln angezogene Höflinge turteln, die die unter zusätzlichen Deckeln verborgenen Sexszenen in ansprechenden Landschaften verbergen, Bildchen, die anderes zeigen, wenn man sie in einem bestimmten Winkel hält, Spielkarten, die man gegen das Licht halten sollte, usw.

Seit der französischen Revolution wurden Sodomie und Homosexualität nicht mehr tabuisiert, erklärt die Kunsthitorikerin Dr. Claudia Przyborowski anhand entsprechender Beispiele. Auch interessierte man sich sehr für Darstellungen des Priaposkultes, „die als Symbol der Jakobiner, der sexuellen Revolution und der Emanzipation des Bürgertums aufgefaßt wurden.“ Das hat manchmal, wie in der Zeichnung „Priaposstele und Mädchen“ von Nikolaus G. Bogdanov (1850), auch etwas Komisch-Anrührendes, wenn ein nacktes rotbäckiges Mädchen eine Priaposstele umhalst. Die Arme sind bei der Statue ab; der Rest ist in der Phantasie des Betrachters noch dran. Ansonsten gibt es: Pfeifchen mit nackten Damen, die sich an den Pfeifenkopf schmiegen, ineinandersteckende Gruppensexreihen, Kombinationen aus kleinen Amoren oder geflügelten Penissen oder Schwänen und nackten Frauen („Ride a white Swan“); Nönnchen mit hochgerafftem Rock, Briefbeschwerer, illustrierte Tabatieren, in denen Aphrodisiaka aufbewahrt wurden, usw. Derlei Dinge pflegte Katharina die Große prüden Männern zu überreichen, um sie charmant zu schockieren oder anzuregen.

Mit dem 19. Jahrhundert, als die Erotika auch für das aufstrebende Bürgertum und den niederen Adel produziert wurden, seien sie unpoetischer, derber und verklemmter geworden, sagt Claudia Przyborowski. Mittlerweile natürlich noch mehr. Beim Betrachten zeitgenössischer Massenpornographie mit ihren Sex-&-Fitneß-Funktonsidealen habe ich jedenfalls selten das Gefühl, daß das abgebildete Begehren des Menschen doch auch sehr schön sein kann. Dann hüpfen zwei Eichhörnchen im Britzer Park herum, zwei sommerliche Rauchereckenschülerinnen rauchen Marihuana auf einer Bank im Britzer Garten, und auf einer anderen am Rande des Parks steht in Kinderschrift: „Zum Sex nachher meldet Euch auf dieser Bank!“

Amors Pfeile am Zarenhof. Die erotische Sammlung der russischen Zaren in Zarskoje Selo, der Sommerreesidenz bei St. Petersburg. Alt-Britz 73; 12359 Berlin (U-Bahn Parchimer Allee). Noch bis zum 11. Juli 1999. Di – Do 14 – 18 Uhr; Fr 14 – 20 Uhr; Sa, So & Feiertags 11 – 18 Uhr. Eintritt 6,00 bzw. 4,00 DM (das sind: 3,06 bzw. 2,04 Euro)

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