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Aus dem Berliner Tollhaus

■ Als tazler den Sozialstaat verteidigen, als Pressesprecher Sparprogramme vertreten? Wie das geht, beantwortet   Dirk Wildt

Was mich wirklich überrascht hat, waren die Reaktionen. Als mich Berlins Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) Ende 1997 zu ihrem Pressesprecher ernannte, hieß es aus der Senatskanzlei, der Regierende Bürgermeister Diepgen sei „irritiert“. CDU-Fraktionschef Landowsky sprach von einem „Stück aus dem Tollhaus“. Und sein Ex-Kollege von der SPD, Staffelt, beschwerte sich öffentlich darüber, dass der Neue kein Parteibuch habe.

Die öffentliche Auseinandersetzung um meine Person zerstreute bei ArbeitskollegInnen und FreundInnen allerdings Bedenken, ich könnte mit dem Seitenwechsel - erst kritischer Journalist, dann regierungstreuer Sprecher - Glaubwürdigkeit preisgeben. Auch deshalb habe ich mich bei Herrn Landowsky bedankt.

Aber wie geht das nun: Erst den Sozialstaat verteidigen, dann Sparprogramme vertreten?

Ich hätte auf die Frage von Frau Fugmann-Heesing - damals siezten wir uns -, ob ich ihr Sprecher werden wolle, nicht ja gesagt, hätte ich ihre Politik nicht geschätzt. Auf der beiliegenden CD-ROM kann jeder nachlesen, was ich als Journalist von ihrem Vorgänger hielt: „Elmar Pieroth (CDU) will es immer allen recht machen und lieber mit Geldscheinen um sich werfen, als in den Etats von Kollegen herumzustreichen.“

Mein Seitenwechsel began eigentlich anderthalb Jahre bevor ich zur Finanzverwaltung ging. Der taz-Vorstand holte mich in den Verlag, um Transparenz in die Finanzen zu bringen.

Ich gewann mit betriebsöffentlichen Berichten UnterstützerInnen bei Beschäftigten, Betriebsrat und Chefredaktion. Sie begrüßten, verständlich und umfassend zur wirtschaftlichen Lage der Zeitung informiert zu werden. Ich machte mir auch Feinde: Die Geschäftsführung und später im Vorstand.

Ja, liebe LeserInnen, wo war ich denn? In der taz!

Ich fühlte mich an mein Redakteursleben erinnert. Die BürgerInnen kennen die Fakten, fordern Konsequenzen, nur den Verantwortungsträgern fehlt der Mut.

Muß ich also erklären, warum ich anderthalb Jahre später nicht eine Sekunde zögerte, Fugmanns Sprecher zu werden? Nein.

Die ersten Wochen kam ich mir in dem Altbau direkt an der Spree mit Adresse „Berlin-Mitte“ vor wie auf Erholungsurlaub. Endlich einmal ein Betrieb mit übersichtlichen Strukturen und mit klaren Zuständigkeiten. Das Managment - die politische Spitze und die Abteilungsleiter - weiß was es will und kann klar kommunizieren. Diese Wohltat kann man besonders gut begreifen, wenn man in der taz gearbeitet hat. Natürlich funktioniert auch in der Senatsverwaltung für Finanzen nicht alles optimal - dafür dann auf höherem Niveau.

Zu den erstaunlichen Erfahrungen gehörte in meinem neuen Job, dass Michaele Schreyer nicht mehr mit mir reden wollte. Michaele ist Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Wir hatten uns in der vergangenen Legislaturperiode prima verstanden. Sie gehe nicht mit Sprechern der Regierung essen, sagte sie mir. Auch aus gesellschaftskulinarischen Gründen bin ich also dafür, dass es am Berliner Wahltag - dem 10. Oktober - zu Rot-Grün kommt.

Nach dem Seitenwechsel interessierte mich als erstes, wie meine ehemaligen KollegInnen aus den Politikressorts der anderen Zeitungen arbeiteten. Auch nicht professioneller als in der taz.

Den Tiefpunkt journalistischer Recherche-Qualität erreichte in den anderthalb Jahren meiner Tätigkeit ausgerechnet ein Spiegel- Team, das Fugmann-Heesings Analyse zur Lage Berlins interessierte. Offensichtlich auf Grund mangelnder Vorbereitung und fehlender Kenntnisse finanzpolitischer Zusammenhänge konnte das Gespräch mit Mühe auf dem Niveau eines Grundkurses Was ich schon immer über einen Haushalt wissen wollte, aber mich nie zu fragen traute gehalten werden.

Mir wurde auch klar, warum bestimmte Tageszeitungen immer gut informiert sind. Es bedarf einer gewissen Auflage, die die taz mit ihren täglich 13.000 Exemplaren in Berlin nicht erreicht. Ein Senator nimmt den Telefonhörer erst in die Hand, wenn in einer 3,4 Millionen-Metropole täglich - sagen wir mal - 150.000 Exemplare abgesetzt werden.

So lernte ich schnell, dass wenn die taz gut ist, sie in Wirklichkeit sehr gut ist.

Als Pressesprecher einer Senatsverwaltung finde ich Berliner Tageszeitungen natürlich anstrengend. Sie machen viel Arbeit und die Ergebnisse sind häufig zweifelhaft. Man wird zwangsläufig genügsam und folglich ist man froh, wenn gelegentlich richtig berichtet wird. Um dies zu unterstützen, kommt man allerdings nicht darum herum, sogar Duz-Freunden rechtliche Schritte anzudrohen, mit denen man früher gemeinsam an einem Joint zog.

Gut: Ich wußte vorher, worauf ich mich einlaß.

Erfreulich ist, dass trotz allem die Mehrheit der Journalisten sorgfältig arbeitet - auch bei BILD und B.Z.

Dennoch wird auch dann, wenn ich schon lange kein Pressesprecher mehr sein sollte, ein Bild lange in mir nachwirken: Die Lokalzeitungen und auch das Lokalfernsehen sehen häufig den Wald vor lauter Bäumen nicht.

LeserInnen, die nur Berliner Zeitungen lesen, müssen den Eindruck gewinnen, in Landes- und Finanzpolitik geht es drunter und drüber. Wer sich über den Senat beschwert, bekommt grundsätzlich viel Platz eingeräumt. Am Abdruck von widersprechenden Äußerungen und Richtigstellungen scheint das Interesse begrenzt zu sein, sofern diese Stellungnahmen offizielle sind.

Und Berliner Journalisten sind nicht immer ehrlich: Einerseits fordern sie einen konsequenten politischen Kurs, doch wenn dieser zu unpopulären Entscheidungen führt, dann wollen sie es plötzlich nicht gewesen sein. Diese fehlende Zivilcourage hat auch etwas mit der Provinzialität jener Stadt zu tun, die noch übt, Hauptstadt zu sein.

Der Autor (35 J.) hat von 82 bis 97 für die taz als Fotograf, Lay-Outer, Redakteur und Finanzcontroller gearbeitet. Seit 97 spricht er für Berlins Finanzsenatorin Fugmann-Heesing (SPD)

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