: Lebenslinien in Sand und Silber
■ Jede Unebenheit, jede Falte, jedes einzelne Haar werden betont – Melanie Manchot zeigt in der Galerie Fiebig Körperlandschaften
Beim Blick durch die Einfahrt in den dritten der Hackeschen Höfe bekommt der Flaneur derzeit schon von weitem Ungewohntes zu sehen: viel nacktes Fleisch von einer alten Frau.
Melanie Manchot wollte sich dem Wesen des Alterns nähern und wurde auf der Suche nach einem Modell in ihrer Familie fündig. Vier Jahre lang fotografierte die in London lebende Deutsche ihre Mutter. So entstand ein Zyklus, der den normalen alternden Körper einer Frau zeigt, wie er im medialen Diskurs nicht oder kaum vorkommt.
Jetzt gibt die breite gläserne Front der Galerie Lutz Fiebig den Blick auf Manchots Ausstellung „look at you loving me“ frei. Wie werden denn die Alten in TV-Serien oder der Werbung gezeigt? Stereotypen allerorten. Vom Clown bis zum noch berufstätigen und rüstigen Senior mit „der Kraft der zwei Herzen“ bis hin zur liebenden, helfenden und resoluten Omi von der „Lindenstraße“ und anderen Soaps. Das Alter ist eine genauso verzerrt dargestellte Konstruktion wie die jungen, schönen Körper in der „CK one“-Werbung und dergleichen. Die Realität gibt es lediglich ab und an in Alibi-Dokumentationen zu sehen.
Melanie Manchot macht das anders, sie hat genau hingesehen. Ohne Scheu sind selbst die Intimzonen ihrerMutter ins Bild gesetzt. Das scharfe Seitenlicht, der neutrale Hintergrund, die Farblosigkeit erzeugen eine ganz besondere Spannung. Jede Unebenheit, jede Falte, jedes einzelne Haar und die Fettpölsterchen werden betont. Die Zeit hat eben ihre Spuren hinterlassen. Von Scham ist nichts zu spüren. Die 70jährige ist nicht Objekt, sondern Subjekt. Ihre Posen sind mutig: „Nahe zu kommen bedeutet, die Regeln, das Ansehen, das Abwägen der Vernunft, die Hierarchien, das eigene Selbst zu vergessen“, sagt die alte Dame. So wirkt Alter authentisch. Dabei können die Fotos nicht als reine Dokumentationen gelten, denn die 32jährige Künstlerin bearbeitet die Oberflächen der Bilder. Die Leinwand wird grundiert und mit Sand aufgerauht, die mit dem Pinsel aufgetragene Silbergelatine erzeugt zusätzliche Unebenheiten. Das paßt zu den abgebildeten Körperlandschaften. Getrocknet, wird die Leinwand dann wie ein Foto belichtet und entwickelt. Das große Thema sind die Lebenslinien.
Schon 1997/98 porträtierte sich Melanie Manchot während ihrer Schwangerschaft regelmäßig selbst, dokumentierte ihren immer größer werdenden Bauch. Und auch monentan fotografiert Manchot sich wieder jeden Tag. Das will sie bis zum Jahreswechsel tun und dann die Bilder zu einem Film zusammenkleben. Sie hat gerechnet: Ein ganzes Jahr Arbeit wird dann in nur 20 Sekunden abgespult. Andreas Hergeth
Melanie Manchot: „look atyou loving me“ bis zum 2. Mai, Mittwoch bis Freitag 14 bis 19 Uhr, Samstag bis Sonntag 12 bis 19 Uhr, Galerie Lutz Fiebig, Pavillon Hackesche Höfe III, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte.
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