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Ein Sozialist und Spitzelmann

Peter Heilmann war Leiter der Evangelischen Akademie Berlin, ein streitbarer Kopf und Sozialist. Seine Stasi-Mitarbeit bemerkte 33 Jahre lang niemand. Seit einer Woche muß er sich vor Gericht verantworten  ■   Aus Berlin Till Ottlitz

„Das ist ein versoffener, charmanter und verrückter Mensch.“ Wenn Peter Heilmann das sagt, schleicht sich ein wenig Wärme in seine rauchige Stimme. Er beschreibt eine Romanfigur, den Adrian Peeperkorn aus Thomas Manns „Zauberberg“. Und ein bißchen beschreibt er damit auch sich selbst. Denn unter dem, vom Vorbild leicht abgewandelten Decknamen „Adrian Pepperkorn“ spitzelte Peter Heilmann für die Stasi – 33 Jahre lang.

Daß er diesen Namen gewählt habe, „das war ein Spaß“, sagt der 76jährige heute. Doch mit den Späßen ist es erst mal vorbei. Seit einer Woche muß sich Heilmann zusammen mit seiner Frau Gertraude vor dem Berliner Kammergericht verantworten, wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Bis zu fünf Jahren Gefängnis drohen den beiden. Der Fall Heilmann gilt als letzter großer Stasi-Prozeß. Gestern hat das Gericht den Führungsoffizier des Agentenpaars vernommen.

An ihn hat Peter Heilmann von 1956 bis 1989 seine Berichte geliefert. Als Referent der Evangelischen Akademie Westberlins kannte er viel Prominenz, berichtete über Schriftsteller, Politiker, Künstler, gab die Stimmung der linksintellektuellen Berliner Szene wieder. Die Stasi fand aber selbst frei Zugängliches wertvoll, wie ein Vorlesungsverzeichnis der Freien Universität, Tagungsbroschüren, Zeitungsartikel. Gertraude Heilmann spionierte als zweite Sekretärin den ehemaligen FDP-Wirtschaftssenator Wolfgang Lüder aus. Ihre Berichte unterzeichnete die heute 69jährige mit „Pepperkorn II“.

5.000 Aktenseiten füllen die Berichte von „Pepperkorn I und II“. Ein ganzes Rollwägelchen voll, das der Gerichtsdiener zu Beginn jeder Verhandlung in den Sitzungsaal 145 des Kammergerichts schiebt. Schon vier Sitzungstage lang hat Richter Frithjof Kupsch aus den Akten vorgelesen. Bericht um Bericht, Gesprächsprotokolle, Porträts.

Seit ihrer Enttarnung 1993 haben Heilmann und seine Frau geschwiegen. Seit Prozeßbeginn sagen sie aus. Nach jeder verlesenen Akte spricht Heilmann seinen Satz: „Ich erinnere mich nicht, aber es sieht wie meine Handschrift aus.“ Fragt der Richter nach dem Inhalt, weicht Heilmann oft aus. Er umreißt die geschichtlichen Umstände, wirft bekannte Namen in den Raum. Seine Stimme kratzt, die Sätze ziehen sich. Er habe für die sozialistische Gesellschaft gearbeitet, sagt Heilmann, „weil die mehr Gerechtigkeit und mehr Freiheit hat.“

Logisch schwer nachzuvollziehen bleibt da, wie Heilmann zu „Pepperkorn“, zum Spitzel wurde. Immer hat er offen seine Meinung gesagt, galt als „unabhängige Persönlichkeit“, bekannte sich auch in der Evangelischen Akademie zum Sozialismus. Heute spricht Heilmann vom Spionieren, als sei es eine Eintragung unter vielen in seinem kurvigen Lebenslauf.

1922 wird Peter Heilmann in Berlin geboren. Als Sohn eines verfolgten SPD-Politikers mit jüdischen Vorfahren darf er in der Nazi-Zeit nicht studieren. „Ich wurde als Aussätziger behandelt.“ Mit 22 Jahren wird er als „jüdisch Versippter“ zum Arbeitsdienst verurteilt. Doch Heilmann kann fliehen und versteckt sich fortan. Im April 1945 von den Russen befreit, ernennen die Sieger den 23jährigen zum Bürgermeister des Berliner Stadtteils Eichkamp. Den Titel trägt er nicht lange, macht aber weiter Politik. Er wechselt in den Ostteil der Stadt, geht zur FDJ und macht dort Karriere. Beworben habe er sich nie um ein Amt. „Ich bin gebeten worden, das zu tun.“

Mit „Nein“ hat Peter Heilmann selten auf Bitten geantwortet. Auch nicht, als man ihn fragt, ob er für die Stasi arbeiten will. Das ist im Februar 1956. Heilmann sitzt zu dieser Zeit im Gefängnis. Verurteilt wegen Spionage, in Wahrheit Opfer einer stalinistischen Säuberung, hat er da schon fast seine fünf Jahre im Zuchthaus Luckau abgesessen. „Ich wurde vor zwei Männer geführt, die sich als Mitarbeiter des Ministeriums des Innern ausgaben.“ Die Männer fragen ihn, ob er in Zukunft Informationen beschaffen wolle. „Und ich sagte: Warum nicht.“

An dieser Stelle hakt Richter Kupsch nach. „Das ist für mich schwer verständlich, warum sie sich mit Vertretern eines Systems eingelassen haben, das sie zu Unrecht verurteilt hat.“ Heilmann sagt, es sei ihm nicht um Personen gegangen, sondern um Sozialismus. Erst auf weiteres Nachfragen spricht Heilmann dann von Angst. „Ich wollte unbeschadet aus dem Gefängnis kommen.“

War Heilmann Gezwungener oder Überzeugungstäter? Eine Mischung aus beidem, behauptet er heute. Ab 1957 konnte ihn die Stasi jedenfalls nicht mehr zwingen, seine Berichte zu verfassen. Heilmann war zum Studieren in den Westen gegangen und arbeitete später als Journalist.

Die Verteidigung präsentiert den Richtern einen Intellektuellen, der aus Überzeugung Stimmungsbilder aus der Politik geliefert habe, keine Geheimnisse. „Schaden hat er dabei nicht in einem einzigen Fall angerichtet“, sagt sein Verteidiger Klaus Krüger. Im Prozeß wackelt das Bild. Richter Kupsch zitiert einen Bericht, in dem Heilmann das Kennzeichen eines im Westen geparkten DDR-Autos notierte; die Stasi überprüfte den Halter umgehend.

Inwieweit Heilmann den Bespitzelten tatsächlich geschadet hat, ist heute nicht mehr festzustellen. Die Verteidigung rechnet nur mit einer Bewährungsstrafe von ein oder zwei Jahren. Daß Heilmann schuldig gesprochen wird, ist dagegen klar.

Das Publikum im Gerichtssaal spaltet sich an seiner Figur. Alte Freunde sitzen dort neben Bespitzelten. Heilmann selbst scheint die Verwirrung um seine Person zu genießen. Die Romanfigur Adrian Peeperkorn habe er auch wegen dessen Zweideutigkeit als Decknamen gewählt. „Weil das ein Mensch ist, den man nicht einordnen kann.“ Peter Heilmann einordnen, das müssen jetzt die Richter.

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