: Papenburg quirlt TBT-Gift in die Ems
■ Billige Art der Giftschlick-Entsorgung? / Papenburger Stadtverwaltung: „Wir machen das immer so“ / Bauern emsaufwärts haben Angst vor TBT-Verseuchung ihrer Kuh-Tränken
Als einzige Hafenstadt in Küstennähe verquirlt Papenburg/Ems Hafenschlick, ohne daß dieser bislang auf das Umweltgift Tributylzinn (TBT) getestet wurde. Zwar läßt die Stadt derzeit erstmals TBT-Proben aus dem Hafengrund ziehen, gleichzeitig aber pflügt der stadteigene Schlepper „Gerd Bliede“ den Hafen- und Emsschlick auf. „Mit ablaufendem Wasser spülen wir unseren Schlick durch die Schleuse in die Ems“, bestätigt Bernd Jordan, Pressesprecher der Stadt Papenburg. Emsanwohner haben Angst, daß das TBT über den aufgewühlten Emsschlick in die Weidetränken ihrer Kühe und damit in die Trinkmilch gelangt. Emsaufwärts hat Elfriede Orloog, ehemals Bäuerin, unter anderem wegen zunehmender Verschlickung ihrer Weiden die Viehhaltung bereits aufgegeben. Vor vier Jahren hat sie gegen die Emsvertiefungen geklagt; bis heute wartet sie auf ein rechtsgültiges Urteil.
„Wir haben erhebliche Probleme mit der Verschlickung des Hafens. Irgendwie muß das Zeug raus“, erklärt Papenburgs Sprecher Jordan. Würden die jetzt vorgenommenen Messungen, deren Ergebnisse man in knapp einem Monat erwartet, eine hohe TBT-Belastung ergeben, könnten auf Papenburg zudem enorme Sanierungskosten zukommen. Für das Ausbaggern des Hafens und für die Deponierung des giftigen Schlicks zahlen andere Städte bereits Millionensummen. Und daß der Papenburger Hafen mit TBT belastet ist, daran zweifelt niemand – zumal der Stadthafen auch Ausschleushafen der Papenburger Meyer-Werft ist. Wie alle Schiffsbauer benutzte auch sie bislang TBT-haltige Farben. Sie sollen einen Bewuchs des Schiffsrumpfes mit Algen und Seepocken verhindern. Der Bewuchs würde die Geschwindigkeit eines Schiffes drosseln und den Treibstoffverbrauch erhöhen. Bei Malerarbeiten auf der Werft, bei Grundberührung der Schiffe beim Manövrieren und durch Zersetzungsprozesse gelangt das TBT-Gift ins Wasser und setzt sich dann im Schlick ab. Mit dem Giftschlick-Problem haben u.a. auch Hamburg, Bremen Wilhelmshaven, Cuxhaven und die Nordseebäder zu kämpfen.
TBT-haltige Farben sind ab 2003 weltweit verboten. TBT greift in den Hormonhaushalt von Meeresorganismen ein. Betroffen sind zunächst Muscheln, Austern und Schnecken. Einige Schneckenarten sind an der Nordseeküste wegen Unfruchbarkeit durch TBT ausgestorben. Bei direktem Kontakt kann TBT beim Menschen akut Hautausschläge, Atemnot, längerfristig Zeugungsunfähigkeit hervorrufen. Der Hamburger Umweltsenator hat kürzlich vor dem Verzehr von mit TBT vergifteten Fischen aus Hamburger Binnengewässern gewarnt. Derzeit versuchen Farbenhersteller, giftfreie Schiffsfarben zu entwickeln. Papenburg ist jetzt der letzte größere Hafen in Küstennähe, der auf TBT untersucht wird, nachdem vor vier Jahren TBT-Alarm in Niedersachsen ausgerufen wurde. Damals wollte Bremen hochgiftigen Hafenschlamm in den Nationalpark Wattenmeer kippen. Niedersachsen sagte „nein“. Mehr als 100 Millionen Mark steckte Bremen seitdem in wasserbauliche Maßnahmen und wissenschaftliche Forschung, um TBT aus dem hauseigenen Hafenschlamm zu lösen.
Unterdessen rätseln Experten, ob der in Papenburg verstärkt aufgewirbelte Schlick Ursache für das Versagen der Schleusenfunktion gestern ist. Bis Redaktionsschluß steckte dort ein russischer Frachter fest. Thomas Schumacher
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