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■ „Wir werden gewinnen, weil wir gewinnen müssen.“ Mit Beschwörungen wie dieser versuchten die Nato-Regierungschefs der Furcht vor einem risikoreichen, langen Krieg Herr zu werden. Geheimdienstanalysen stehen im Widerspruch zu den offiziellen ErfolgsmeldungenMarkige Sprüche, geheime Zweifel

„Wir werden gewinnnen, weil wir gewinnen müssen.“ Mit diesen Worten hat Bundeskanzler Gerhard Schröder am Wochenende auf einer Pressekonferenz in Washington versucht, die erheblichen Zweifel an der bisherigen Luftkriegsstrategie der Nato vom Tisch zu wischen.

Auf dem Gipfeltreffen seiner 19 Staats-und Regierungschefs demonstrierte das westliche Verteidigungsbündnis seine „Entschlossenheit“, die seit fast fünf Wochen erfolglose Luftkriegsstrategie gegen Restjugoslawien verstärkt fortzusetzen. Ein Einsatz von Bodentruppen wurde zwar diskutiert, in den offiziellen Erklärungen aber als „nicht aktuell“ verworfen, obwohl die operativen Vorbereitungen für einen eventuellen Einsatz vorangetrieben werden. Und in ihrer Erklärung zum Kosovo-Konflikt nahm die Allianz Korrekturen an ihren bislang als „unverhandelbar“ bezeichneten Forderungen und Positionen vor.

Ähnlich markige Sprüche wie die von Schröder waren auch von US-Präsident Bill Clinton, Großbritanniens Premierminister Tony Blair, Nato-Generalsekretär Javier Solana sowie vom militärischen Oberkommandierenden der Allianz, US-General Wesley Clark, während des Gipfels immer wieder zu hören.

Zurückhaltender gaben sich die Regierungchefs, Außen- und Verteidigungsminister kleinerer Bündnispartner wie Dänemark oder Belgien. Vertreter Italiens und insbesonders Griechenlands äußerten zum Teil deutliche Kritik am Luftkrieg der Allianz – zumindest gegenüber Journalisten. „Die Luftangriffe haben die ethnischen Säuberungen im Kosovo nicht gestoppt, sondern noch verschärft“, erklärte Griechenlands Premierminister Costas Simitis. „Die Position von Milosevic“ sei „durch die Luftangriffe gestärkt worden“. In den Arbeitsitzungen des Gipfels wurde derartige Kritik nach Darstellung von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping allerdings nicht vorgetragen.

Auch Scharping bemühte sich, den „Erfolg“ der fast fünfwöchigen Luftangriffe hervorzukehren. Die Kapazität der serbischen/restjugoslawischen Armee sei bereits um 50 Prozent reduziert worden. Scharping vermied jegliche Festlegung auf den Zeitpunkt für ein Ende des Krieges. Die Luftangriffe der Nato könnten „noch Monate dauern“.

In scharfem Kontrast zu den auf dem Gipfel verbreiteten Erfolgsmeldungen stehen US-Geheimdienstanalysen, die am Wochenende bekannt wurden. Laut diesen Berichten ist die „Fähigkeit Milosevic' zur Kriegsführung“ nach den über 9.000 Luftangriffen der Nato in den ersten vier Wochen seit dem 24. März noch „weitgehend intakt“. Die Kommando- und Kontrollzentren der serbischen/restjugoslawischen Streitkräfte seien „noch funktionstüchtig“. Zerstörte Anlagen würden von den Streitkräften „innerhalb von 36 Stunden repariert“. Selbst die Luftabwehr, die ursprünglich bereits in der ersten Phase der Nato-Angriffe ausgeschaltet werden sollte, ist nach den US-Geheimdienstanalysen zu weiten Teilen noch einsatzbereit.

Zwecks Verstärkung der Luftangriffe wurde die Zahl der gegen Restjugoslawien eingesetzten Nato-Kampfflugzeuge seit dem 24. März inzwischen auf über 1.000 verdoppelt. Außerdem wird die Liste der Ziele ständig erweitert.

Das Pentagon verkündete am Wochenende die Entsendung von weiteren 2.050 Armeesoldaten – ausgerüstet mit Panzern und Antipanzerwaffen. Sie sollen die 3.300 US-Armeesoldaten unterstützen, die bereits in Albanien oder auf dem Weg dorthin sind. Mit diesen neuen US-Kontingenten wächst die Zahl der in den Nachbarländern des Kosovo sowie auf Schiffen in der Adria stationierten Soldaten aus Nato-Ländern auf über 30.000.

Nachdem im Vorfeld des Gipfels insbesondere der britische Premierminister Blair sowie – vorsichtiger – US-Präsident Clinton die Option Bodentruppen ins Spiel gebracht hatten, wurde das Thema in den Arbeitssitzungen des Gipfels am Freitag zwar kontrovers diskutiert. In der Kosovo-Erklärung des Gipfels findet sich darauf allerdings kein Hinweis. Dafür hatten sich vor allem Schröder, Scharping und Fischer eingesetzt, die im Vorfeld des Sonderparteitages der Grünen am 13. Mai eine zusätzliche Belastung der Bonner Koalition vermeiden wollten. „Das Thema ,Bodentruppen' ist vom Tisch“, stellte Bundeskanzler Schröder erleichtert fest.

Anders als bislang erhebt die Nato in ihrer Kosovo-Erklärung nicht mehr die Forderung nach dem Abzug „aller“ serbischen/restjugoslawischen Armee-, Polizei- und paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo. Auf Nachfragen der taz wollten Schröder und Fischer diese Korrektur einer der fünf auch vom Bundesaußenminister noch während des Gipfels als „unverhandelbar“ bezeichneten Kernforderungen der Nato an Milosevic nicht erklären. Schröder und Fischer bemühten sich, die Korrektur als irrelevant herunterzuspielen.

Tatsächlich hatten mehrere europäische Nato-Staaten diese Änderung verlangt. Sie argumentierten, die Belgrader Regierung müsse unter der im Rambouillet-Abkommen angestrebten Autonomieregelung für das Kosovo Truppen in der südserbischen Provinz als Ausdruck ihrer weiterhin bestehenden Souveränität stationieren können.

Die Frage, ob eine Autonomieregelung nach den Entwicklungen der letzten viereinhalb Wochen überhaupt noch realistisch und den Albanern zuzumuten ist, wollte Fischer nicht beantworten. Am Samstag hatte der im deutschen Exil lebende „Premierminister“ der Kosovo-Albaner, Bujar Bukoshi erklärt, der Rambouillet-Vertrag sei tot. Für die Albaner komme nur noch die staatliche Unabhängigkeit in Frage. Andreas Zumach

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