: „Positiv-Typologie“ der Parteien
■ SPD-Bilanz der Großen Koalition setzt „positive Kräfte“ frei / Vergeßt rot-grün und die klassische Farbenlehre der Parteien / „Toll“ muß alles sein / „Euphorie“ trotz Haushaltsdefizit ist außerdem angesagt
Christian Weber hat in Bremen „viele tolle Sachen“ entdeckt. Nein, nicht die 46.355 Bremer Arbeitslosen. Sondern die neuen „Passagen“, das „schöne“ Wohn-Projekt am Stadtwerder oder den Bahnhofsvorplatz. „Euphorische Stimmungen“ spürt der SPD-Fraktionschef in der Stadt. Sein Fazit nach vier Jahren Großer Koalitionsarbeit lautet deshalb: „Wir haben gute Arbeit gemacht“, bilanzierte er gestern vor Medienvertretern in der Fragerunde: „Große Koalition – große Fortschritte?“
„Positive Kräfte“ hätten in der Stadt „positive Veränderungen“ hervorgebracht, erklärte Weber vor der Journaille. Die SPD hätte sich mit einem Partner zusammengetan, „der gut ist für das Land“ – ganz unabhängig von klassischen „Farblehren“, wiederholte Weber brav die neue Scherfsche Typologie der Parteien. So sei zum Beispiel Carmen Emigholz (nach alter Farblehre rot-grün) „weder rot-grün noch rot-schwarz“. Die Kulturpolitikerin habe schlicht „gute Kulturpolitik“ im Interesse der Stadt gemacht.
Und so war „gut“ im Sinne von rot-schwarz offenbar nicht immer SPD-Senatorin Bringfriede Kahrs. Die Bildungspolitik dürfe in Zukunft nicht mehr am „Bettelbeutel des Finanzsenators hängen“, sagte Weber. Da müsse es künftig „vernünftige Eckwerte geben“. Mutig schätzte er dagegen das massive Ausweisen von mehr als 600 Quadratmetern Gewerbeflächen ein – „ganz ungewöhnlich für uns Sozialdemokraten“.
In den nächsten zehn Jahren wachsen „attraktive Gewerbeflächen“ heran. Das große Baggerbild der grünen Wahlplakate zum „Flächenfraß“ findet Weber deshalb einfach „schülerhaft“: Die Koalition hätte doch parallel insgesamt 619 Quadratmeter neue Naturschutzflächen ausgewiesen: „Da hätte Fücks sich seine Piepmatzaffäre sparen können.“
Ein klares Nein also zu negativer (= rot-grüner) Flächenpolitik – und ein klares Ja zu guten Dingen wie der Auffanggesellschaft, die die hohe Arbeitslosigkeit nach der Vulkan-Pleite „abfedern konnte“, lobte Weber SPD-Arbeitssenator Uwe Beckmeyer. Aber wegen gestiegener Arbeitslosigkeit von 40.343 (im Jahr 1995) auf 46.355 im Jahre 1998 gab's da nicht weiter viel zu positivieren.
Also schnell noch (getreu der eigentlich abgelehnten Farblehre) ein Dank an SPD-Sozialsenatorin Tine Wischer: „Wir haben soziale Gerechtigkeit“, sagte Weber zu ihrer Regierungsarbeit. Der einzige gelieferte Beweis dafür: Der erfüllte Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz mit neuen Gebühren, die „mittlere und untere Einkommen“ entlasten.
Und weil es bei SPD-Senatorin Bringfriede Kahrs außer der neuen Bremer Privatuni offenbar nicht viel zu loben gab, leistete sich Weber lieber noch einen kleinen Exkurs ins CDU-geführte Wirt-schaftsressort. Sogenannte „Kümmerer“ sollten sich künftig um die Ansiedlung von Firmen bemühen, regte Weber neue Förderstrukturen an. „Da muß sich was ändern, das haben wir schon immer gesagt.“
Doch grundsätzlich laufe doch alles gut mit dem koalitionären Sanierungsprogramm. Und das mit dem Schuldenabbau von derzeit rund 16,6 Milliarden Mark müsse auch irgendwie klappen: „Jetzt kommt es darauf an, wie wir den Haushalt der nächsten fünf Jahre steuern.“ Denn wenn die Bonner Sanierungsmittel ab 2005 endgültig versiegen, „müssen wir eigenständig überleben“.
Aber wie das gehen soll, ließ Weber erstmal offen: Große Wahlversprechen und Ideen zur Schuldentilgung gab es nicht. Und so blieb es gestern bei den „positiven Kräften“ erstmal nur bei der Bekundung von „Euphorie“-Zuständen – trotz milliardenschwerer Defizite im Haushalt. kat
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