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Mister Gere wundert sich  ■ Von Carola Rönneburg

Richard Gere (“Ein Mann für gewisse Stunden“) hat ein Flüchtlingslager in Makedonien besucht und sich schwer gewundert: Er sah Flüchtlinge mit Mobiltelefonen, sehr viele Flüchtlinge mit Mobiltelefonen sogar! Der Schauspieler folgerte daraus, er sei wohl in diesem Flüchtlingslager Vertretern des kosovarischen Mittelstandes begegnet. Für diese Weltfremdheit des Weltstars bieten sich mehrere Erklärungen an.

Die erste ist für Fans: Richard Gere (“Außer Atem“) hat zuviel ferngesehen, CNN, BBC, womöglich auch noch deutsche Sender. Als der Krieg begann und die ersten Kosovo-Albaner zu Hunderten ihre Häuser verließen, hieß es im Fernsehen häufig, unter den Flüchtenden befänden sich ausschließlich alte Menschen, Frauen und Kinder. Folgerichtig zeigte man auch nur alte Menschen, Frauen und Kinder auf ihrem Weg über die albanische Grenze. Gleichzeitig ergingen die ersten Spendenaufrufe. Wenig später, als die Fernsehteams in die Zeltstädte der Auffanglager ausschwärmten, war es unmöglich, Bilder ohne junge Männer einzufangen, darum war jetzt nicht mehr die Rede von männerlosen Flüchtlingstrecks. Statt dessen konzentrierte sich die Berichterstattung darauf, was die Flüchtlinge an Hab und Gut hatten retten können. So sah man tütenbeladene Menschen, in Eselskarren, auf Treckern und zu Fuß. An einem einzigen Abend konnte man im Fernsehen einen Parkplatz sehen, auf dem Vertriebene ihre Autos zurücklassen mußten. Und erst in der Nacht, in der urplötzlich Zehntausende Flüchtlinge verschwunden sein sollten und weitere Zehntausende angeblich von serbischen Einheiten in das Kosovo zurückgetrieben worden waren, zeigte das Fernsehen die Rücklichter einer Autokolonne. Inzwischen interviewt das Fernsehen manchmal Pkw-Fahrer. Allerdings dürfen die Flüchtlinge von den Lagern aus nicht weiterreisen, weshalb Richard Gere (“Ein Offizier und Gentleman“) nicht über Autos, sondern nur über Mobiltelefone staunen konnte.

Die zweite Erklärung richtet sich an Kino-Laien: Richard Gere (“Der letzte Ritter“) ist Buddhist und frönt jedes Jahr mehrere Wochen in einem buddhistischen Kloster der Enthaltsamkeit. Ohne Mobiltelefon. Von daher kann er sich schwer vorstellen, daß andere Menschen in ähnlich kargen Situationen Kontakt mit Freunden und Bekannten aufnehmen wollen, die anderswo leben. Vor allem, da es ihnen ja gar nichts nützt: Die europäischen Länder interessieren sich nicht für Treckerfahrer und ihre Familien. Auch die Bundesrepublik Deutschland nicht. Der Spitzenreiter in der europäischen Gastgeberliga war bei den bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen noch weitaus großzügiger. Jetzt, wo sich Deutschland auf seinen Kriegseinsatz konzentrieren muß, beschränkt es sich vergleichsweise auf ein Minimum an Hilfsbereitschaft: Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar. Die dritte Erklärung, auch im Unterricht einsetzbar: Richard Gere (“Pretty Woman“) hat Erdkunde geschwänzt. Er wußte nicht, daß selbst auf dem Balkan nicht mehr am offenen Feuer gekocht wird. Und er weiß es heute nicht besser, weil das Fernsehen nichts nennenswert Modernes mehr aus dem Kosovo oder Belgrad zeigen kann – die Gegend ist inzwischen so platt wie Mr. Gere himself.

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