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■ Richtig, aber zuwenig: Schily will mehr Kosovaren aufnehmenDie Glaubwürdigkeit des Westens

Das Irritierende am Nato-Krieg gegen Jugoslawien ist doppelte Motivation der Nato. Es geht nicht mehr, wie in klassischen imperialistischen Kriegen, um die Sicherung von Einflußsphären und Bodenschätzen, sondern um Moral: die Verteidigung der Menschenrechte der Kosovo-Albaner. Gleichzeitig ist die Nato ein Militärbündnis auf der dringenden Suche nach einer neuen Rolle. Und das Exempel für die neue, globale Rolle ist der Kosovo-Einsatz. Deshalb muß dieser Krieg irgendwie gewonnen werden, denn sonst droht der Nato – wie Anfang der 90er – die Frage, wozu es das Bündnis noch gibt. Diese widersprüchliche Melange von Moral und Interesse kennzeichnet den Nato-Krieg gegen Jugoslawien.

Und zwar von Beginn an. Im Bericht des Auswärtigen Amtes vom November 1998, also schon unter Fischers Amtsführung, heißt es, daß sich die Lage im Kosovo entspannt habe. Dieser de jure auch heute noch gültige Bericht ist die Leitlinie, an der sich die Innenminister der Länder und die deutschen Gerichte orientieren – und somit entscheidend für die Asyl- und Abschiebepraxis. Und noch im Januar informierte das Auswärtige Amt ein Verwaltungsgericht, daß „eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung im Kosovo nicht festzustellen“ ist. Noch am 11. März, zwei Wochen vor dem Beginn der Bombardierung, befand das Oberverwaltungsgericht Münster: „Albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo waren und sind in der Bundesrepublik Jugoslawien keiner regionalen und landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt.“

Seit Ende März bemühen Fischer und Scharping unermüdlich Nazi-Vergleiche, um die serbischen Verbrechen im Kosovo zu geißeln, und begründen die völkerrechtlich höchst problematischen Bombenangriffe mit der moralischen Pflicht, den Kosovaren zu helfen. Wie paßt das zu dem offenkundigen Versuch, noch Wochen zuvor die Verhältnisse im Kosovo schönzureden, damit man die lästigen Kosovaren loswerden kann?

Heute ist klar, daß Miloevic die Nato-Bomben benutzte, um die ohnehin geplante ethnische Säuberung des Kosovo im Schnelldurchgang zu erledigen – mit den katastrophalen Folgen, die wir jeden Tag sehen. Klar ist auch, daß man das Argument des Westens, daß, wer die Flüchtlinge aufnimmt, Miloevic in die Hände spielt, zu den Akten legen kann. Denn stabile Verhältnisse im Kosovo und eine Rückkehr der Flüchtlinge wird es nicht in Monaten, sondern, wenn überhaupt, erst in Jahren geben.

Was nun? Der Westen muß begreifen, daß es nicht mehr darum geht, eventuell einige tausend Flüchtlinge mehr aufzunehmen, sondern um Hunderttausende. Und zwar aus drei Gründen: Erstens ist es eine moralische Pflicht der Reichen, den Bedrängten zu helfen – zumal die Nato mit der Bombardierung und der folgenden Beschleunigung der Vertreibung zum Akteur geworden ist. Zweitens droht die Flüchtlingswelle, vor allem in Makedonien, die Region zu destabilisieren. Eine Ausweitung des Krieges – und neue Flüchtlingsströme – kann der Westen nicht wollen. Drittens wird sich am Umgang mit den Flüchtlingen zeigen, ob die moralische Selbstermächtigung der Nato mehr als nur Rhetorik war, um den Bruch des Völkerrechts zu legitimieren und die UNO auf die Zuschauertribüne zu verbannen.

Deshalb ist Schilys Angebot, nun 20.000 statt 10.000 Kosovaren aufzunehmen, ein Schritt in die richtige Richtung – aber ein viel zu kleiner. Die rot-grüne Regierung steht vor einer komplizierten doppelten Aufgabe: Sie muß die anderen EU-Länder, vor allem Großbritannien und Frankreich, mit sanftem Druck dazu bewegen, ihre komplette Ignoranz in der Flüchtlingsfrage aufzugeben. Und sie muß der deutschen Gesellschaft klarmachen, was auf sie zukommt. Beides erfordert Geschick und politischen Weitblick – und nicht das Moraltremolo, das die rot-grüne Kriegspolitik bisher kennzeichnete.

Der stets mit gußeiserner Entschlossenheit verkündeten Glaubwürdigkeit der Nato wird ein befristeter Waffenstillstand (wenn er die Aussicht auf eine sinnvolle, diplomatische Initiative eröffnet) nicht schaden. Die Glaubwürdigkeit der westlichen Demokratien wird in den drahtumzäunten, mit Zehntausenden Menschen überfüllten Lagern in Makedonien endgültig zuschanden gehen. Stefan Reinecke

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