: Im Kriegsfall gegen die Waffen der Frauen
■ Ist die erste Frau erst ruiniert, treibt Mann es im Krieg ganz ungeniert – über das lange Schweigen zu einem historisch bewährten Kampfmittel: systematische Vergewaltigungen
Alexander der Große hat sie sich alle genommen – die Frauen seiner Feinde. Zum Beispiel die baktrische Prinzessin Roxane im Zuge seiner Eroberung Baktriens im Jahre 327 vor Christi Geburt. Der Feldherr nahm sich mit Gewalt die Königstochter, seine Soldaten machten sich über die Frauen aus dem Volke her.
Seit es Menschen gibt, führen sie Kriege, seit es Kriege gibt, vergewaltigen Männer die Mütter, Ehefrauen und Töchter ihrer Gegner. Nach der Militärsoziologin Ruth Seifert gelten Frauen in Kriegen als „zentrales Angriffsfeld“. Mit der physischen und psychischen Zerstörung der Frauen treffe man mitten in den Kern der Familie und damit in die Gesellschaft.
Gerade in patriarchalischen Gemeinschaften ist die Erniedrigung durch Vergewaltigung und eine erzwungene Schwangerschaft für die Frauen und ihre Ehemänner gleichermaßen kaum auszuhalten. Bosnierinnen, die seit den Kriegsjahren 1992 therapeutisch behandelt wurden und werden, berichten immer wieder davon, daß ihre Männer ihnen die Vergewaltigung nicht verzeihen könnten.
Die Gynäkologin Monika Hauser von Medica mondiale, die 1993 im bosnischen Zenica das erste Therapiezentrum für traumatisierte Frauen gründete, weiß aus ihren Erfahrungen, daß „nach der Heimkehr der Männer aus dem Krieg die Gewalt gegenüber den Frauen und Kindern wieder zunimmt“.
So bricht erst die Familie, schließlich die ganze Gesellschaft auseinander – jedenfalls ist das das Ziel systematischer Vergewaltigungen.
Aber auch zur nationalistischen Propaganda wird das Thema Vergewaltigung instrumentalisiert. Bereits Anfang der 80er Jahre ließ die serbische Regierung das Gerücht verbreiten, „unsere reinen serbischen Frauen werden von den dreckigen Kosovaren vergewaltigt“. Die Propaganda zeigte Wirkung und brachte Slobodan Miloevic als eifrigsten Verbreiter jenes Gerüchts 1987 an die Macht.
Die internationale Gemeinschaft hat dem Thema systematische Vergewaltigungen lange schweigend zugesehen. Erstmals seit den kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien ging Ende 1992 ein entsetzter Aufschrei durch die Weltöffentlichkeit, als Nachrichten über Massenvergewaltigungen nach außen drangen.
Nur zwei Tage zuvor hatten am 6. Dezember 1992 drei koreanische Frauen Anklage gegenüber der japanischen Regierung erhoben wegen des ihnen während des Zweiten Weltkriegs zugefügten Leides. 200.000 Frauen hatten den japanischen Soldaten als sogenannte Trostfrauen gedient. Sie waren Zwangsprostituierte in Militärbordellen, Stätten organisierter Vergewaltigungen.
Es brauchte 45 weitere Jahre, bis 1993 in Den Haag aufgrund der Schreckensmeldungen aus Bosnien das erste internationale Kriegsverbrechergericht eingerichtet wurde. Im Dezember 1998 wurde in Den Haag von 79 Angeklagten der erste, der Serbe Anto Furundzija, wegen systematischer Vergewaltigungen verurteilt und Vergewaltigungen somit als Kriegsverbrechen offiziell anerkannt.
50 Jahre lang wurde der Einsatz von Vergewaltigungen durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zum Zwecke der „totalen Erniedrigung und Zerstörung ,minderwertiger‘ Völker und der Etablierung der deutschen Herrenrasse“, so eine Studie der Genfer Menschenrechtkommission von 1995, verschwiegen.
Niemand sprach mehr von den 200.000 Frauen, die 1972 im Zuge des Teilungskrieges zwischen Bangladesch und Pakistan von pakistanischen Soldaten vergewaltigt wurden. Auch nicht von den kuwaitischen Frauen, die von irakischen Soldaten im Golfkrieg vergewaltigt wurden. Kein Amerikaner wurde verurteilt, der sich in Vietnam an einer Vietnamesin verging, kein Russe, der in Afghanistan eine Afghanin mißbrauchte.
In Tansania tagt seit 1996 ein Kriegsverbrechertribunal wegen des Völkermordes in Ruanda. 1994 wurden während des Bürgerkriegs dort nahezu die Hälfte aller Frauen vergewaltigt, und obwohl niemand dort das Thema tabuisiert, wird heute behauptet, diese Frauen hätten ihre Sexualität dazu benutzt, ihr Leben zu retten, während sie dabei zusahen, wie ihre Männer und Kinder umgebracht wurden.
1996 entstand auch der Dokumentarfilm „Calling the Ghosts“, in dem zwei Bosnierinnen von dem serbischen Todeslager Omarska erzählen und wie sie nach ihrer Befreiung einen Kommandanten des Lagers wegen Vergewaltigung nach Den Haag bringen wollten. Der Angeklagte äußerte sich nur schriftlich zu dem Vorwurf: „Was, ich, Frau Civac vergewaltigen? Nehmen Sie es mir nicht übel, aber diese Dame ist 20 Jahre älter als ich. Das hätte ich schon aus ästhetischen Gründen niemals tun können.“
Und der Westen blickt mit voyeuristischem Schauder auf die Kriegsschauplätze anderswo, während Bundeswehrsoldaten vor kurzem noch für ein Video Krieg spielten – Trockenübung Vergewaltigung inklusive. Petra Welzel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen