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Das Wetter bestimmt den Zeitplan der Nato

■ In der Öffentlichkeit tut die Allianz so, als wären die Luftangriffe erfolgreich. Doch hinter den Kulissen werden die Vorbereitungen für einen Landeinsatz bereits vorangetrieben

Nach nunmehr über sechs Wochen erfolgloser Luftangriffe gegen Restjugoslawien gibt es es im Brüsseler Nato-Hauptquartier oder den Verteidigungsministerien ihrer 19 Mitgliedsstaaten fast niemand mehr, der das Scheitern der Luftkriegsstrategie noch ernsthaft bestreitet. Dies ist auch kaum mehr möglich nach den klaren Worten, mit denen der gestern ausgeschiedene Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, General Klaus Naumann, bei seiner Abschlußpressekonferenz das Scheitern eingestanden hat. Doch wie es weitergehen soll, darüber herrscht kein Konsens.

„Weiter so“, und das verschärft, heißt deshalb nach wie vor die Devise der Allianz, die der Chef ihrer Führungsmacht USA, Präsident Bill Clinton, bei seinem Deutschland-Besuch noch einmal bekräftigte. Der Einsatz von Bodenkampftruppen ist weiterhin „kein Thema“. Bei dieser offiziellen Linie dürfte es mindestens bis zum Sonderparteitag der Grünen am nächsten Donnerstag bleiben.

Die Kette von gravierenden Falscheinschätzungen und Fehlern der Nato wird im Brüsseler Hauptquartier inzwischen vor allem von solchen Militärs offen eingestanden, die intern schon immer vor einem reinen Luftkrieg gewarnt haben – oder dieses zumindest jetzt von sich behaupten. Die Nato-Luftangriffe gegen die restjugoslawischen „Sicherheits“kräfte im Kosovo haben deren Vertreibungsoffensive gegen die Albaner bislang kaum behindert, geschweige denn stoppen können, sondern im Gegenteil zu ihrer Beschleunigung und Eskalation beigetragen.

Von der anfangs als „Wunderwaffe“ zur Bekämpfung dieser „Sicherheits“kräfte gepriesenen „Apache“-Hubschraubern der USA ist noch keiner im Kosovo eingesetzt worden. Sollten die in Albanien stationierten „Apaches“ je zum Einsatz kommen, muß die Nato damit rechnen, daß die serbischen „Sicherheits“kräfte sie mit ihrer noch intakten Luftabwehr abschießen. Wenn die „Apaches“ tief genug fliegen, lassen sie sich mit schultergestützen Luftabwehrraketen oder mit Maschinengewehren vom Himmel holen.

Schließlich besteht bei der Nato auch nach der Zerstörung von zwei der drei Ölraffinerien Serbiens und der De-facto-Blockade des montenegrinischen Hafens Bar durch restjugoslawische Kriegsschiffe völlige Ungewißheit darüber, über wieviel in unterirdischen Bunkern gelagerte Öl- und Benzinvorräte die restjugoslawischen „Sicherheits“kräfte noch verfügen.

Inzwischen führt die Nato ihren Luftkrieg längst nicht mehr vorrangig gegen rein militärische Ziele, sondern immer stärker gegen zivile Einrichtungen, die (wie zum Beispiel Brücken) auch von Militärs genutzt werden könnten. Zunehmend zerstört die Nato auch rein zivile Teile der serbischen Infrastruktur. Die Bevölkerung soll zermürbt werden und sich von Miloevic abwenden. Bislang gibt es keine Anzeichen, daß dieses Kalkül aufgeht.

Zumindest öffentlich geben sich die Nato-Regierungen noch immer der Hoffnung hin, die Luftangriffe könnten ihre erklärten Ziele noch erreichen, bevor ein völliger Umschlag der öffentlichen Meinung in Deutschland und anderen wichtigen Nato-Staaten ihre Einstellungen erzwingt. Doch hinter den Kulissen werden die operativen Voraussetzungen für einen Einsatz von Bodenkampftruppen stetig vorangetrieben. Nach den im Brüsseler Hauptquartier entworfenen Plänen müßte ein solcher Einsatz (etwa mit dem Ziel, das Kosovo oder einige Teilgebiete rechtzeitig vor Beginn des Winters für die Rückkehr von vertriebenen AlbanerInnen freizukämpfen und zu sichern) spätestens Ende Juli beginnen. Letztes Jahr hatte in Teilen des Kovoso bereits Mitte September starker Schneefall eingesetzt.

Wenn die für ein solches Szenario von der Nato vorgesehenen rund 60.000 Soldaten spätestens Ende Juli in ihren geplanten Aufmarschgebieten in Ungarn, Italien, Makedonien, Albanien sowie möglicherweise Bulgarien zum Einsatz bereitstehen sollen, müssen die Vorbereitungen jetzt intensiviert werden. Knapp 30.000 Nato-Soldaten sind bereits in Makedonien und Albanien stationiert – darunter britische, französische und US-amerikanische Infanterietruppen mit der für einen Bodenkrieg benötigten Bewaffnung und Ausrüstung. Die bis zu 900 Bundeswehrsoldaten, die nach dem für heute geplanten Beschluß des Bundestages zusätzlich nach Albanien entsendet werden – zunächst mit dem Auftrag der humantären Hilfe –, werden zum Ausbau einer logistischen Infrastruktur beitragen, auf die die Nato dann auch bei einem eventuellen Bodenkrieg zurückgreifen kann.

Doch die öffentliche Diskussion über den Einsatz von Bodenkampftruppen soll erst nach dem grünen Parteitag am nächsten Donnerstag beginnen – um den Erhalt der rot-grünen Bonner Koaliton zu sichern. Denn selbst wenn von diesem Parteitag ein klarer Beschluß gegen einen Einsatz von Bodenkampftruppen erwartet wird, kalkuliert zumindest die Clinton-Administration ganz nüchtern, daß sich ein solcher Einsatz zu einem späteren Zeitpunkt eher mit einer rot-grünen Koalition in Bonn durchsetzen läßt als mit den CDU-Politikern Rühe und Lamers an der Regierung und den Grünen in der Opposition. Andreas Zumach

Die öffentliche Diskussion über den Einsatz von Bodentruppen soll erst nach dem grünen Parteitag beginnen, um den Erhalt der Koalition zu sichern

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