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Apfelbäumchen vor Himmelfahrt

Hamburgs GALier warten gebannt auf den Beschluß der Bundespartei über den Krieg. Was danach passiert, wissen alle. Aber kaum jemand wagt es auszusprechen. Eine Analyse von  ■ Sven-Michael Veit

Am Donnerstag um 18 Uhr wird Hamburgs Grün-Alternative Liste nicht mehr sein, was sie bisher war – was immer das gewesen sein mag. Zu diesem Zeitpunkt soll die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) in Bielefeld beendet und das Verhältnis von Bündnis 90/Die Grünen zum Krieg gegen Jugoslawien geklärt sein. Wie die Beschlüsse aussehen werden, wagt niemand zu prophezeien; was danach passieren wird, wissen alle. Aber kaum jemand wagt es auszusprechen.

Die GAL wird mit 20 Delegierten und etwa vierzig nicht-stimmberechtigten Mitgliedern in Bielefeld vertreten sein. Denn viele wollen „live miterleben, wohin und vor allem wie die Debatte läuft“ – die Debatte einer grünen Schlüsselfrage, über deren Formulierung noch nicht einmal Einigkeit zu erzielen ist. Während sich die einen auf die Forderung „Bündnisgrün statt olivgrün“ beschränken, bezweifeln andere, daß die Formel „Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus“ nach den politischen Umwälzungen im Europa der 90er Jahre und angesichts des serbischen Terrors in Bosnien und nun im Kosovo noch innere Stringenz besitzt.

Die offiziell beschlossene Position der Hamburger Grün-Alternativen hilft da nicht weiter. Ein „befristeter Stopp der Bombardierungen“ solle zum Ausstieg aus der Spirale der Gewalt“ beitragen“ und ermöglichen, daß die „zentrale Rolle der Konfliktbewältigung“ wieder auf die UN übergehe: So lautet der Beschluß der Mitgliederversammlung (MV) vom 25. April, und schon das Abstimmungsergebnis von 156 zu 132 zeigt, daß eine solche weiche Formulierung nicht für innerparteilichen Frieden zu sorgen vermag, sondern nur für eine allenthalben offensichtliche Lähmung. Die Sonnenblume welkt.

Zwar bemüht sich vor allem die grüne Bürgerschaftsfraktion darum, business as usual zu demonstrieren – irgendwie muß ja regiert werden in dieser Stadt. „Wir tun so, als müßten wir noch schnell ein Apfelbäumchen pflanzen“, sagt nicht ohne Selbstironie eine Parteilinke; „von Endzeitstimmung kann keine Rede sein“, beschwichtigt hingegen ein führender Realo. Dennoch starren alle gebannt nach Bielefeld. Nach dem Himmelfahrtstag, darüber zumindest herrscht Einigkeit, „wird es zwar keine Spaltung der GAL geben“, aber „Abbröckelungstendenzen werden unvermeidbar sein“. Das gelte, je nach Ausgang der Delegiertenversammlung, für beide Flügel.

Über die Bruchlinie sprechen fast alle nur hinter vorgehaltener Hand. Der Eimsbüttler Uli Cremer ist einer der wenigen, der sich kein Hintertürchen offenhält: „Ein Ende des Krieges ohne Wenn und Aber“, nicht anderes sei für ihn akzeptabel, sagt der Sprecher der Grünen Anti-Kriegs-Initiative und Autor des entsprechenden Antrages, der auf der GAL-MV mit 132 Stimmen nur knapp unterlag. Wenn sich „die Cremer-Linie“ in der Bundespartei durchsetzen sollte, liebäugeln mindestens zwei führende Realos mit einem Wechsel zur SPD, „aber erst nach einer Schamfrist“. Vier linke Bürgerschaftsabgeordnete suchen für den gegenteiligen Fall „nach einem neuen politischen Umfeld“. Die satte rot-grüne Mehrheit von 29 Mandaten im Hamburger Landesparlament wäre zwar erst gefährdet, wenn eine deutliche Mehrheit aus der 21köpfigen grünen Fraktion ausscheiden und ihre Mandate mitnehmen würde. Aber „schon der Verlust von zwei oder drei Abgeordneten würde unsere Position gegenüber der SPD schwächen“, schwant Realo-Parteisprecher Peter Schaar.

Den größten Aderlaß befürchten Schaar und seine linke Sprecherkollegin Kordula Leites ohnehin „an der Basis“. Brigitte Ziehlke trat bereits vor vier Wochen als Fraktionschefin in der Bezirksversammlung Wandsbek zurück und kündigte ihren Parteiaustritt an, falls die Bündnisgrünen nicht zu einer dezidiert pazifistischen Position zurückfänden. Die Mehrheit des Kreisverbandes Bergedorf drohte jüngst für denselben Fall damit, sich „eine neue politische Heimat zu suchen“. Auf einem Treffen der vereinigten Bezirks-Linken vor wenigen Tagen lautete der Tenor, weiterhin linke Politik machen zu wollen, aber „dann eben außerhalb der GAL in Initiativen oder in neuen Arbeitskreisen“.

Man könne und dürfe „niemanden zum Bleiben überreden“, sagt eine prominente Parteilinke: „Die Frage der politischen Glaubwürdigkeit muß jeder für sich selbst beantworten.“ An Himmelfahrt um 18 Uhr.

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