: Widersprüchliche Signale der Wähler
■ Nach seinem Sieg hat Barak mehrere Optionen für die Bildung einer Koalitionsregierung. Er will seine Gegner einbinden, doch das schafft auch Probleme
Nicht nur Ehud Barak konnte bei den israelischen Wahlen einen phantastischen Erfolg für sich verbuchen. Auf parlamentarischer Ebene gibt es vor allem zwei Gewinner: die Schas, das Lager der ultraorthodoxen orientalischen Juden, und Schinui (Veränderung), die Partei von Tommi Lapid, dem größten Gegner der religiösen Juden. Die Premierswahlen und die Parlamentswahlen indizieren damit konträre Entwicklungen. Während die Mehrheit für das Amt des Regierungschefs den Mann der moderaten Mitte, der Verständigung und Toleranz wählte, polarisiert sich die Sitzverteilung im Parlament. Dabei geht es nicht so sehr um den Friedensprozeß, sondern vielmehr um die Frage der Trennung von Staat und Religion, von Rechtsstaat und Demokratie gegenüber einem Staat auf der Basis der Halacha, des jüdisch-religiösen Gesetzes.
In Friedensfragen trifft sich die Mehrheit des israelischen Volkes in der Mitte. Die Wähler haben erkannt, daß die Zwei-Staaten-Lösung der einzige Weg ist, um Frieden mit den Palästinensern zu schaffen. Wie diese Lösung aussehen wird, hat Barak zwar grob umrissen. Obschon sich Israels künftiger Regierungschef hartnäckig gibt, wenn es um Jerusalem, Grenzverläufe und die Siedlungen geht, wird letztlich von der Koalition abhängen, wie groß die Kompromisse sind, die Israel doch mit den Palästinensern eingehen wird.
Für Barak stehen drei mögliche Optionen für die Bildung einer Koalition zur Debatte. Eine knappe linke Mehrheit unter Einbeziehung der arabischen Parteien, ein Zusammengehen mit einer der beiden religiösen Parteien, der Schas oder der Nationalreligiösen Partei, oder ein Zusammengehen mit dem Likud. Gegen eine reine Linkskoalition spricht vor allem die Erfahrung aus der Regierungsperiode von Rabin, der zwar im Parlament seine Beschlüsse durchsetzen konnte, dafür aber die Oppsition im Volk erzürnte.
Eine Koalition mit der Schas würde Barak unglaubwürdig machen. Er hat jedes Zusammengehen mit der Partei ausgeschlossen, solange sie unter dem Vorsitz von Arye Deri steht, der vor wenigen Wochen unter anderem wegen Korruption und der Veruntreuung öffentlicher Gelder zu vier Jahren Haft verurteilt worden ist. Möglich wäre hingegen ein Zusammengehen mit der Nationalreligiösen Partei, die versuchen wird, jede weitere Gebietsrückgabe an die Palästinenser zu verhindern.
Die wahrscheinlichste Perspektive ist eine große Koalition unter Einbeziehung des Likud, der Zentrumspartei, der russischen Immigranten und zusätzlich möglicherweise der Nationalreligiösen Partei. Barak beharrt auf seinem höchsten Ziel: Verständigung zu erreichen unter den zerstrittenen Gruppen im Volk. Dazu braucht er eine irgendwie geartete Kooperation mit einem der religiösen Blökke. Das Zusammengehen mit den Nationalreligiösen würde ihm zudem Rückendeckung in der Konfrontation mit den Tauben in den eigenen Reihen verschaffen. Barak steht als Sicherheitspolitiker rechts von der Mehrheit seiner Parteifreunde. Für den Friedensprozeß wäre eine solche Koalition eine schwierige Ausgangsbasis. Für die innenpolitische Entwicklung ist die Frage, ob mit oder ohne religiöses Zutun, nicht minder spannend. Die jüngsten Erfahrungen mit dem Prozeß gegen Arye Deri, dessen Verurteilung bei den Anhängern der Schas bis heute nicht akzeptiert wird, und mit ultraorthodoxen Massendemonstrationen gegen den Obersten Gerichtshof sind eine klare Bedrohung des israelischen Rechtsstaats. Um Gesetze zu verabschieden, die unter anderem das Monopol der orthodoxen Rabbiner hinsichtlich aller Personenrechtsfragen aufbrechen könnten, braucht Israel eine Regierung ohne Beteiligung der religiösen Parteien. Barak hat die Chance, schon jetzt den Boden zu ebnen für die Frage, die früher oder später auf die Tagesordnung kommen wird: Ist Israel ein demokratischer oder ein religiöser Staat? Susanne Knaul
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