50 Jahre Bundesrepublik Deutschland: „Die Republik hat keine Zeit zu verlieren“
■ taz-Serie „Migranten ziehen Bilanz“: Der Grüne Özcan Mutlu will Bürgerrechte für alle
Am 23. Mai 1999 wird die Bundesrepublik Deutschland 50 Jahre alt. Sie ist damit die dauerhafteste deutsche Staatsgründung des 20. Jahrhunderts und zweifellos auch die erfolgreichste. Dieses ereignisreiche halbe Jahrhundert ist nicht nur vom Mauerbau, den Wirtschaftswunderjahren, dem Ende des Kalten Krieges sowie der Überwindung der deutschen Teilung geprägt, sondern auch durch die Einwanderung von Menschen aus allen Teilen Europas.
Das heutige Deutschland stellt eine Einwanderungsgesellschaft dar, es hat sich seit dem Zuzug des sogenannten ersten Gastarbeiters in den 50er Jahren stark verändert. Derzeit leben etwa 7,4 Millionen MigrantInnen in Deutschland. Obwohl sie schon längst ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik haben, werden sie nach wie vor als Gastarbeiter oder Ausländer tituliert. Etwa ein Drittel aller MigrantInnen leben und arbeiten bereits mehr als 20 Jahre in Deutschland. In der Zwischenzeit ist die Rede von der zweiten und dritten Generation.
Den Zahlen des statistischen Bundesamtes zufolge sind etwa 2,5 Millionen junge Menschen nichtdeutscher Herkunft in Deutschland geboren und aufgewachsen. Damit ist Deutschland gewollt oder ungewollt, bewußt oder unbewußt, zu ihrer Heimat geworden. Sie haben die Republik bereichert, sie mitverändert und sind zu einem festen Bestandteil von ihr geworden. Es geht nicht mehr um die Frage, ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht. Die Frage lautet vielmehr, wie kann gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation für alle, unabhängig der Herkunft, gewährleistet werden. Das Ziel muß lauten: Zivile Bürgerrechte für alle! Davon ist allerdings die Bundesrepublik Deutschland noch ein Stück entfernt.
Menschen anderer Hautfarbe oder „ausländischen“ Aussehens müssen in manchen Teilen dieses Landes um ihr Leben fürchten. Die Existenz von öffentlichen Räumen, die zu sogenannten „Ausländerfreizonen“ erklärt wurden, stellen keine Seltenheit dar. In Anbetracht der zunehmenden latenten und manifesten Feindlichkeiten gegenüber Migranten, wird eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit der Behandlung von Minderheiten in unserer Gesellschaft für eine demokratische Öffentlichkeit immer mehr zur Pflicht.
Die spärlich ausgefallene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts der rot-grünen Koalition ist als ein erster Schritt zu werten. Nun müssen weitere folgen. Angefangen von einem Antidiskriminierungsgesetz, für ein Niederlassungsrecht bis hin zum Einwanderungsgesetz, sind Reformen zur rechtlichen Gleichstellung der BürgerInnen nichtdeutscher Herkunft notwendig, die längst Teil unserer Gesellschaft sind. Auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert hat die 50jährige Republik nach über 40 Jahren Migration keine Zeit mehr zu verlieren. Özcan Mutlu
Mutlu (31) gehört der grünen Fraktion in der Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung an und hat einen sicheren Listenplatz für die Abgeordnetenhauswahl
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