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Bagger muß man verjagen!

■ Kurz vor der Wahl: eine nostalgische und motivierende Ausstellung zum endlosen Kampf ums Hollerland

Gestern malte er wieder, der Mann, der das Malen beim 20jährigen Kampf um das Naturschutzgebiet Hollerland erst gelernt hat: local hero Gerold Janssen, ein schraggelig Männlein im grünen Overall, hockte auf dem Pflaster vor dem Rathaus und verzierte es mit bunter Kreide. Zusammen mit etwa 20 Kindern der Grundschule am Baumschulenweg bedeckte er das Pflaster bei den Bremer Stadtmusikanten mit Fuchsfährten und Reiherkrallen, die alle in eine Richtung wiesen: zum Rathaus, zur Macht. Und zu einer Ausstellung, die gestern in der Unteren Rathaushalle ihre Pforten öffnete: „Zum Beispiel: Das Hollerland“.

Ort 1, Termin 1a: Drei Wochen vor der Bürgerschaftswahl kann man mit solch einer Ausstellung prima all die Politiker ärgern, die anstelle eines Herzens für Tier und Pflanze einen Betonmischer haben, aber auch solche, die die Menschen lieben und sonst nix. In seiner Eröffnungsrede verwies Janssen ausdrücklich auf diesen Zusammenhang: „Wir haben noch alle Möglichkeiten bei der Wahl.“ Unübersehbar prangt in der Rathaushalle ein Zitat von Bürgermeister Scherf: „Die Tabuisierung von Grünflächen ist Blödsinn.“ Noch okölogisch hellsichtiger war 1997 CDU-Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer mit seinem legendären Bonmot: „Erfahrungsgemäß sind Vögel durchaus in der Lage, einen Kilometer weiter zu fliegen.“ Die Alternative bei der Wahl dürfte für Hollerlandfreunde so aussehen: Grüns wählen oder auf dem Wahlzettel notieren: Tine Wischer for Bürgermeister! Die Umweltsenatorin ließ zur Eröffnung von einem Vertreter ausrichten, es sei „absolut wichtig, das Hollerland in der heutigen Form zu erhalten und weiterzuentwickeln.“

Zwanzig Jahre kämpften Janssen & Co. bzw. die Bürgerinitiative für die Erhaltung des Hollerlandes gegen „Landschaftsfraß“ und Vernichtung des Lebensraums von Tüpfelralle, Sumpfdeckelschnecke und Schlammbeißer, was ein äußerst seltener, bis 30 cm langer Fisch ist, der sich immer so erfolgreich versteckt, daß Besucher der Ausstellung ihn nicht zu Gesicht bekommen werden. Obwohl die Aussteller schwören, es befinde sich ein dickes Exemplar im ausgestellten Aquarium. Vis-a-vis ist ein Stück Feuchtraumgebiet aufgebaut und ein Stück Straße. Und jede Menge doofer Bauzäune.

Für Prof. Hermann Cordes vom BUND wäre der Bau einer Straße durchs Hollerland bereits der Sündenfall bzw. „das Todesurteil fürs Hollerland“. Die Umweltverbände könnten und wollten in Zukunft zwar nicht verhindern, daß irgendwo gebaut wird – aber weder in Naturschutzgebieten wie dem Hollerland noch in Überschwemmungsgebieten. Das seien für ihn „Tabugebiete“. Hier ist jeder Bagger eine Provokation. Und schon die kleinen Umweltschützer lernen, daß hier energisches Eingreifen gefordert ist. An einem PC neben dem Feuchtraumgebiet können Kids ein ökologisch astreines Computerspiel (gefördert von der Böllstiftung) spielen – ein Kind rennt und schwimmt durchs Hollerland, entdeckt Pflanzen und Tiere, Frösche hüpfen über seine Füße, und auf einmal ist da ein Bagger. Den muß man sofort verjagen.

Die Ausstellungsmacher, BUND und BI Hollerland, haben auch sonst an die Kleinen gedacht: eine „Schule“ zum Studieren der Hollerlandgeschichte gibt es, Mikroskope, um das trübe Grabenwasser zu erforschen, eine Bastel-ecke. Und das „Zum Beispiel“ im Titel verweist darauf, daß nicht nur das Hollerland in Bremen umtobt ist. So stellt sich auch die BI „Erhaltung der Wesermarsch im Bremer Osten“ vor.

Doch natürlich, kein Wunder bei dem Alter des Streites um die „paar sauren Wiesen mit Kühen drauf“ (Ludwig Hettling, AfB, 1998), ist diese Ausstellung auch eine nostalgische Veranstaltung. Alte Recken der Bewegung werden sich hier über den legendären Drahtesel Janssens freuen, aus einer Zeit, in der ausweislich der Sticker taz, Atomkraft nein danke, Umwelt schützen, Rad benützen und Hände weg vom Hollerland noch eins waren. Große Fahnenlappen erinnern an eine Aktion, mit der der befürchtete Verlauf einer Straße durchs Hollerland markiert wurde.

Und überall Bilder vom großen Alten. Wie er mit Holzstangen über Hollerlandgräben hüpft und wie er einen Bagger sitzblockiert. Und natürlich Kopien von Bußgeldbescheiden und Erinnerungen an (teils rabiate) Begegnungen mit der Staatsmacht.

Gestern allerdings würdigte die Staatsmacht Janssens Mal-Aktion (von zweifelhafter strafrechtlicher Relevanz) keines Blickes – drei Streifenbeamte fuhren hocherhobenen Hauptes am Tatort vorbei. Auf Fahrrädern, versteht sich. BuS

Es gibt zur Ausstellung ein umfangreiches Begleitprogramm. Sa., 22.5., 15 Uhr, z.B. eine Exkursion in die Feuchtwiesen ab Lehester Deich/Jan Reiners Weg; So., 23.5., 14 Uhr eine vogelkundliche Radtour ab Haus am Walde; später Aktionstage, Torfkahnfahrten, Gewässerbiologie etc. Info: BUND 0421/790020. Die Ausstellung im Rathaus ist bis 13. Juni täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

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