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Warten auf den Pfingstbesuch

■ In Blumenthal fragt man sich, was passiert, wenn am Sonntag die NPD und die Gegendemonstranten aufeinandertreffen. Eine Momentaufnahme.

Die Geschäftsleute rund um den Marktplatz von Blumenthal fühlen sich alleine gelassen. Die Polizei bittet die Anwohner mit Flugblättern, ihre Autos woanders zu parken; überall sind Halteverbotsschilder aufgestellt – der gesamte Ortskern wird am Sonntag für den Verkehr gesperrt. Am Pfingstsonntag wird Ausnahmezustand in dem Ortsteil im äußersten Norden von Bremen herrschen. Besonders hier, am Marktplatz, wo die NPD um 12 Uhr eine Kundgebung veranstalten will. „Wir haben Angst um unser Inventar“ sagt Wolfgang Roth, Besitzer eines Fotostudios an einer Ecke des baumbeschatteten Platzes.

Mehrere Geschäftsinhaber haben sich Holzplatten und Werkzeug gekauft, um die Scheiben krawallsicher zu machen. 2.200 Mark hat ein Eisdielenbesitzer für das Material bezahlt. Auch im Schreibwarenladen Beike, direkt am Platz, sollen die Scheiben dichtgemacht werden. Die Versicherung würde sonst nichts zahlen, falls das Geschäft etwas abbekommt.

Daß die Demonstration nicht verboten wurde, können die Geschäftsleute sich nur damit erklären, daß die Blumenthaler keine Lobby in der Stadt Bremen haben. „Wenn hier was erneuert werden soll, ist kein Geld für den Stadtteil da. Aber für Krawall muß der Stadtteil herhalten“, sagt Schreibwarenhändlerin Beike. Von den Lokalpolitikern ist sie enttäuscht. Und auch Fotograf Roth ist überzeugt: „Wir haben einen schwachen Beirat hier. Ich kann mir vorstellen, daß es in Vegesack ganz anders gelaufen wäre“.

Im Ortsamt auf der anderen Straßenseite berichtet der stellvertretende Ortsamtsleiter Wilfried Wojke von „massenweisen Protestbriefen“, die jeden Tag bei ihm eingehen. Menschen haben Angst, den geplanten Pfingstgottesdienst am Weserufer zu besuchen; andere fürchten um ihren Besitz; Organisationen protestieren förmlich. Inzwischen füllen die vielen Briefe einen Leitzordner. Doch geholfen hat es nichts. Das Stadtamt sah diesmal keine Handhabe, den NPD-Aufzug zu verbieten.

Fünf türkische Vereine und unzählige Geschäfte von Ausländern sind in der Mühlenstraße zu finden, die vom Marktplatz wegführt. Durch die Mühlenstraße führt auch die genehmigte Demonstrationsroute der NPD. Im Schaufenster des „Vereins türkischer Kraftfahrer und Wohnungsmieter“ hängt ein Aufruf für die Gegendemonstration ab 9 Uhr auf dem Schillerplatz. Drinnen, im Vereinslokal, scheppert türkische Musik aus dem Fernseher. In einer Ecke spielen Männer Domino. „Nach der Schicht bei der Wollkämmerei oder bei Klöckner kommen die Männer hierher, wenn sie noch nicht schlafen können, und trinken einen Tee“, erklärt Ali Ekmen, der Bruder des Betreibers. Doch am Sonntag wird der Laden dicht gemacht – auf Wunsch der Polizei.

Nebenan, im türkischen Jugendcafe', diskutiert der Kurde Orhan mit dem Türken Kadir, was am Sonntag zu tun sei. „Wenn sie einmal hier durchmarschieren, werden sie es auch ein zweites Mal versuchen“, ist Orhan überzeugt. Eigentlich ist er dagegen, das Cafe' am Sonntag zu schließen. Sein Freund ist vorsichtiger. Kadir bleibt am Sonntag zu Hause bei seinen Kindern. „Seit 20 Jahren wohne ich jetzt hier – das ist das erste Mal, daß wir hier so eine Provokation von den Nazis haben.“ Sicher: Das nahe Schwanewede ist eine Hochburg der rechten Szene. Aber Blumen-thal? Für sie gibt es nur eine Erklärung, warum die NPD hier marschieren will: Der hohe Ausländeranteil im Stadtkern. Draußen auf der Straße Kindergeschrei.

Ein kleiner Trupp Kurzer kommt mit Betreuerin am Cafe' vorbei und läßt sich stoppen. Von dem Aufmarsch wissen alle. Angelique ist acht und hat bereits eine gefestigte politische Meinung. „Eigentlich finde ich Nazis blöd, weil die im Weltkrieg Leute umgebracht haben und gegen Ausländer sind“ sagt sie, und brennt dem Befrager einen entschlossenen Blick auf die Netzhaut. „Dabei sind die Ausländer genau wie wir – nur daß sie ausländisch sprechen.“ Christoph Dowe

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