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KommentarKein Treppenwitz

■ Hochhaus kommt, Kranzler schließt

Es sind schnelle Zeiten, Zeiten, in denen wir die Orientierung verlieren. Wo ist die Mauer? fragen nicht nur die Touristen. Wo ist die alte Bundesrepublik? fragen die, die es vor dem Osten gruselt. Und wer fragt einmal, wo das Kranzler geblieben ist?

Nun soll es also dichtmachen, das ehrwürdige, aber nicht ganz echte Kranzler, das einmal an der Ecke Friedrichstraße, Unter den Linden gestanden hat, um im Westberlin der Nachkriegszeit erneut zum Synonym eines Ortes zu werden. Kurfürstendamm war dort, wo das Kranzler war.

Es sind, wie gesagt, schnelle Zeiten, Zeiten, in denen wir gerne auch vergessen, worüber wir uns gestern oder vorgestern gestritten haben. Was das mit dem Kranzler zu tun hat? Eigentlich müßte man diese Frage dem Bausenator stellen, dem jetzigen wie seinem Vorgänger.

Es war Bausenator Wolfgang Nagel (SPD), der nach der Wende die Genehmigung für den Bau eines Hochhauses neben und hinter dem Kanzler erteilt hat. Und es war Nagels Nachfolger Jürgen Klemann (CDU), der trotz heftiger Proteste an dieser Planung festhielt. Klemann hielt sogar daran fest, als der heutige SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder vorschlug, das Volumen des Hochhauses zu verteilen, wenn nötig auch auf die Ecke, wo das Kranzler steht. Klemann reagierte wütend. Das Kranzler sei wichtig für die Identität der Stadt, wetterte er und hielt am Hochhaus fest.

Nun wechseln in schnellen Zeiten auch die Investoren und das, was man für städtische Identitäten hält. Klemann wollte das Kranzler erhalten, Strieder die bisherige städtebauliche Dimension um den Breitscheidplatz. Nun ist beides weg: das Kranzler und das alte Charlottenburg. Schließlich war die Hochhausgenehmigung am Kranzler nur der Startschuß für die Hochhauspläne Jürgen Klemanns und seines Architekten Christoph Mäckler rund um die Gedächtniskirche. Ein Treppenwitz?

Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch gut, daß auch die Westberliner Identitäten verlorengehen. Wer fragt schon heute noch nach dem alten Lindencorso samt der Espressobar an der Friedrichstraße Ecke Linden? Ach ja: Der neue Lindencorso hat übrigens Christoph Mäckler gebaut. Uwe Rada

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