■ Offener Brief an die Verfasser der „Erklärung von Erziehungswissenschaftlern zum Jugoslawienkrieg“: Mitleidloses Schweigen
Vorgestern erschien in der taz eine Anzeige von deutschen Erziehungswissenschaftlern, die den Nato-Krieg kritisieren. Wir dokumentieren eine Replik von Micha Brumlik, Publizist und Professor für Erziehungswissenschaften in Heidelberg.
Sehr geehrter Kollege Bernhard, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Sie haben mit Ihrer Erklärung zum Jugoslawienkrieg nicht nur ein zentrales Thema der deutschen Pädagogik, die „Erziehung nach Auschwitz“, zur Diskussion gestellt, sondern zugleich versucht, als Erziehungswissenschaftler für eine Reihe politischer und moralischer Argumente besonderes Gehör zu finden. Dafür gebührt Ihnen im Grundsatz Respekt, obgleich Sie mit Ihrer „Erklärung“ der Sache, um die es geht, einen Bärendienst erwiesen haben. Ich habe viele unter Ihnen in den letzten Jahren als ebenso klare wie mutige Köpfe kennengelernt, die sich unbeirrt mit dem Engagement deutscher Pädagogen während des Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben. Daraus leiten Sie nun eine besondere Kompetenz zur Beurteilung des gegenwärtigen Krieges ab, die Ihnen aber in mehrfacher Hinsicht nicht zukommt.
Zunächst gilt, daß Wissenschaftler keine größere moralische Kompetenz für sich beanspruchen können als Künstler, Geistliche, Politiker oder die berühmten Leute auf der Straße, zumal dann nicht, wenn sie sich als Intellektuelle äußern, das heißt als Personen, die nun gerade nicht über eine besondere sachliche Expertise verfügen. Sie – wir alle – sind weder Balkanexperten noch Kriegswissenschaftler. Wenn Wissenschaftler eine besondere Kompetenz und ein besonderes Ethos haben, dann jenes, von strittigen Vorgängen besonders genaue Beschreibungen und möglichst gute Erklärungen zu liefern.
Von alledem finde ich bei Ihnen nichts – außer der nicht weiter belegten Behauptung, daß die Legitimation dieses Krieges mit der „Metapher von Auschwitz und Faschismus erschlichen“ worden sei. Daß irgend jemand den im Kosovo begangenen Genozid mit „Auschwitz“ gleichgesetzt hat, weisen Sie nicht nach, wohl aber haben Sie recht, daß diese Massaker viele Menschen an das erinnern, was die Nazis an Juden, Sinti und Roma, Russen und Polen jenseits der Gaskammern verübt haben. Was sollte an einer solchen Erinnerung unangemessen sein? Hat nicht gerade Daniel Goldhagen die Bedeutung der von der Wehrmacht verübten Massaker hervorgehoben? Im übrigen stoßen wir hier auf eine Dialektik von Adornos Forderung, daß „Auschwitz“ nie mehr sein dürfe, die ihnen entgangen zu sein scheint. Gerade wenn alles darauf ankommt, ein zweites „Auschwitz“ zu verhindern, kommt auch alles darauf an, den Anfängen zu wehren. Die Frage, welches diese Anfänge sind und wann man ihnen wie wehren darf, ist jedoch theoretisch nicht zu beantworten.
Am Ende Ihrer Erklärung fällt mir eine Tatsachenbehauptung auf, für die Sie – wenn Sie als Wissenschaftler glaubwürdig bleiben wollen – wirklich, und zwar öffentlich, den Nachweis erbringen müssen. Sie fordern „ein Ende der ideologischen, zum Teil verhetzenden Aufrüstungskampagne von Bundesregierung und Massenmedien gegen Serbien“ und unterstellen so die Existenz dieser Kampagne.
Sind also die Ankläger in Den Haag verhetzende Kalfaktoren einer kriegsgeilen Bundesregierung? Vertreten Sie allen Ernstes die etwa von Handke propagierte Auffassung, daß Serbien keine Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen seien?
Es geht nicht darum, die furchtbaren Fehler der Nato zu verteidigen, es geht mir allein darum, wie Sie sich eines zentralen Teils unserer aufgeklärten erziehungswissenschaftlichen Tradition bemächtigen und sie durch unüberlegtes Engagement ruinieren. Was wollen Sie eigentlich Ihren StudentInnen antworten, die vielleicht nicht für den Krieg, wohl aber für die Menschenrechte der Albaner einstehen? Indem Sie vom Genozid an den Kosovaren mitleidlos schweigen, haben Sie nicht nur den Gedanken einer Erziehung nach Auschwitz verraten, sondern zugleich die eigene wissenschaftliche Arbeit desavouiert. Mit kollegialen Grüßen, Ihr Micha Brumlik
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