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Ohne Ausländer keine Stadt

■ „Was ist die Zukunft Berlins?“ fragte das Stadtforum: Ausgangspunkt der Stadtflucht oder Ort voller wirtschaftlicher und kultureller Dynamik?

Als sich im April 1991 das „Stadtforum“ zu seiner ersten Sitzung traf, kannten die Mitglieder des großen Planungsgremiums zur Stadtentwicklung Berlins nur ein Thema: den Aufbau der Innenstadt und deren Urbanisierung. Heute, acht Jahre nach dem Beginn des Forums von Umweltsenator Peter Strieder (SPD) und auf seiner 77. Sitzung, der letzten in dieser Legislaturperiode, scheint man wieder zur Ausgangsfrage zurückgekehrt. Nur die Parameter haben sich verändert. Zum Problem für die „Zukunft der Stadt“, so das Thema der Diskussionsrunde am Wochenende, avanciert derzeit weniger die Dynamik in den Zentren der City Ost oder West – man wäre froh, dort gäbe es genug –, sondern die Vorstädte: Speckgürtel genannt. Dort wuchert die Stadt, dorthin ziehen jährlich rund 30.000 Menschen und Arbeitsplätze, im Umland boomen die Einfamilienhausparks, die Einkaufs- und Gewerbezentren.

Daß man angesichts dieser starken wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung das „Zivilisationsmodell Stadt“ schlichtweg abschreiben kann, wie der Architekturkritiker und Journalist Michael Mönniger konstatierte, ist eine Sache. Die „Integrationsmaschine Stadt“, so Mönniger, funktioniere nicht mehr, weil der Prozeß der Stadtflucht politisch und ökonomisch gefördert werde. Suventionen flössen en masse in den Eigenheimbau, während der Aufbau der Innenstadt stagniere.

Eine andere Sache ist, sich planerische, wirtschaftliche und politische Instrumente zu überlegen, die der Entleerung der Hauptstadt einen Riegel vorschieben könnten. Reurbanisierung, sagte Karl Schlögel, Professor an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder), gelinge dann, wenn der Stadt wieder Impulse gegeben würden, die über den Tag „oder symbolische Gesten wie der Regierungssitz“ hinausreichten. Nach Ansicht Schlögels besteht die Chance für Berlin darin, daß sich die Stadt mehr als bisher als wirtschaftliche und politische „Ost-West-Drehscheibe“ begreife und mit den Metropolen Osteuropas konkurriere. Nur so werde sie attraktiv als urbaner Ort.

Mittel zur Stärkung der Stadt sieht Heik Afheldt, Ex-Prognos-Chef und jetzt Herausgeber des Tagesspiegels, dagegen auch in den eigenen Potentialen der Stadt und in ihrer Reformfreudigkeit. Es müsse deutlich gemacht werden, daß die Stadt Anziehungspunkt für „neue Firmen“ sei. Sie müsse sich als „Medienstandort“ und innovativ präsentieren. Die geringe Zunahme auf dem Dienstleistungssektor zeige, daß noch zu viele Anstrengungen in den Erhalt der alten Produktionsstandorte gesteckt würden, so Afheldt.

Gerade die Initiative Berlins zur Verlängerung der Ladenschlußzeiten sei eine Maßnahme, wie die Innenstadt als Einkaufsort wieder mehr Bedeutung erhalten könnte. Zugleich, so der Ex-Prognosenmacher, komme der Reform der Verwaltung und der Verkehrspolitik in der Stadt oberste Priorität zu. „Lahme Verwaltungen schrecken Investoren ab“, die dann in den Speckgürtel zögen.

Daß die mit Sorge betrachtete „Entvölkerung“ der Innenstadt zugleich gar keine echte werden könnte, sprach der Stadtplaner Eberhard von Einem an. Berlin als „offene Stadt“ für Migranten, deren sozialer Status gar nicht zulasse, daß sie in die Doppelhaushälften an der Peripherie zögen, bedeute eine Chance für die Zukunft der Stadt. Daß dieses Phänomen – in Berlin lebten rund 300.000 nicht gemeldete ausländische Bürger – von der Politik nicht wahrgenommen und deren Integration behindert werde, sei ein Manko, dessen sich die Stadtentwicklung bewußt werden sollte: Berlin wird multikulturelle Stadt – oder gar keine. Rolf Lautenschläger

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