Nachgefragt (siehe auch Seite 21): Hohe rechtliche Hürden
■ Europarechtler Winter: Hollerland-Bebauung führt zu Komplikationen
Die große Bremer Koalition will den Technologiepark ins naturgeschützte Hollerland ausweiten und exklusives Wohnen gestatten. Über die Paragraphenfestigkeit des Naturschutzes sprach die taz mit dem Bremer Europarechtler Prof. Gerd Winter.
taz: Was denken Sie, wenn Sie hören, der Naturschutz soll Gewerbe geopfert werden?
Gerd Winter: Zunächst gilt deutsches Recht. Solange das Vogelschutzgebiet besteht, darf es nicht bebaut werden, bevor der Schutzstatus aufgehoben ist.
Wie wäre das möglich?
Man kann einmal gegenüber der EU-Kommission geltend machen, daß es die Vogelarten, um deren Schutz es ging, nicht mehr gibt. Dann würde die Kommission streng anfragen, ob der Schutz ungenügend war, so daß die Vogelarten auswandern mußten.
Und der zweite Weg?
Es müßte begründet werden, daß das anstehende Projekt höherrangigen Zielen entspricht.
Es heißt, daß man für Bremens Sanierung Gewerbeflächen braucht. Ist das Grund genug?
Die EU-rechtliche Hürde ist wie im nationalen Naturschutzrecht hoch. Da darf es erstens keine Alternativen geben, um das Ziel zu erreichen. Das muß man detailliert begründen. Und zweitens müssen zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen iIteresses vorliegen.
Und Sanierungsinteressen Bremens wären das nicht?
Ich glaube nicht. Vor allem dann nicht, wenn man Alternativen hat. Wenn keine solchen Flächen zur Verfügung stehen, ist das schwer zu beantworten. Der Begriff der „zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses“ wird zur Zeit europaweit debattiert. Die Kommission erarbeitet jetzt Hinweise, welche Voraussetzungen da gegeben sein müssen.
Wie lange würde die Rücknahme des Naturschutzes im Hollerland dauern?
Wenn man sagt, die Vögel wären weg, wäre das ein langer Prozeß. Wenn man den zweiten Weg geht, kann das auf nationaler Ebene entschieden werden. Es kann dann sehr schnell gehen.
Der Nabu droht dem Senat mit dem EU-Gerichtshof.
Ich nehme an, daß der Rechtsweg beschritten wird. Meine Prognose ist, daß der Europäische Gerichtshof feststellt, daß die Existenz eines Landes ein zwingendes Interesse ist – aber nachfragt, ob die Bebauung entscheidend fürs Überleben Bremens wäre.
Und das würde dauern?
Je nach Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts hinsichtlich der Dringlichkeit des Projektes gäbe es eine aufschiebende Wirkung oder nicht. Ich könnte mir vorstellen, daß das bremische Verwaltungsgericht sagt, wir warten, bis das entschieden ist.
Haben andere Länder den Vogelschutz schon zurückgenommen?
Mir ist kein Verfahren bekannt. Ich glaube, die EU wird sich schwer tun, den Besitzstand wieder aufzugeben.
Wie wirkt sich der Zickzacckurs Bremens – mal anmelden, mal abmelden – in Europa aus? Die Kommission steht stark unter Druck, den Naturschutz aufzulockern, aber sie wird vom Europäischen Gerichtshof stark unterstützt, den Naturschutz weiterzutreiben.
Kann man das Blockland im Tausch fürs Hollerland schützen lassen?
Also, es wird jedes einzelne Gebiet geprüft und gefragt, gibt es für die Umnutzung – in diesem Fall des Hollerlandes – Alternativen. Wenn keine Alternativen existieren, sind die Nutzungsinteressen zwingende Gründe.
Fragen: Eva Rhode
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