piwik no script img

Echter als die Erinnerung an Ihren letzten Urlaub

Die Soap muß billig sein? Wenn sie sich wie „Mallorca“ teurer macht, will's jedenfalls keiner sehen  ■ Von Christoph Schultheis

Kennen Sie Keith Jarrett? Ach was, nicht das Köln Concert! Kennen Sie Jarretts „Standards“-Einspielungen (Vol. 1 und Vol. 2, ECM, 1983, bei denen sich der ruhmreiche Jazzpianist gemeinsam mit seinen Kollegen Gary Peacock und Jack DeJohnette eines knappen Dutzends jener abertausendfach variierten Jazzklassiker annahm)? Egal. Schon nach wenigen Takten jedenfalls offenbart sich die bekannte Vorlage, aber die Neueinspielung wirkt weitaus unaufgeregter und zugleich irgendwie unverbraucht, handwerklich überzeugend natürlich, erfahren und verhalten, ab und an virtuos; dann wieder mischen sich kleine Fehler, Wagnisse, Banalitäten in den Fortgang, der gleichwohl immer darauf bedacht zu sein scheint, niemanden vollends vor den Kopf zu stoßen.

Und kennen Sie „Mallorca“? Ach was, nicht den deutschen Urlaubsklassiker! Kennen sie die neue Daily Soap (seit 37 Folgen montags bis freitags um 19 Uhr, die der ruhmreiche Seifenopernmagnat Grundy/UFA mit Pro 7 produziert)? Egal. Schon nach wenigen Folgen jedenfalls untermalten ebenjene Jazzvariationen eine abendliche gediegene Seriensequenz. Allein die Vorstellung, daß der für die Hintergrundmusik zuständige Mitarbeiter ausgerechnet Jarretts „Standards“ gekannt und gewollt haben muß, irritiert

Dabei ist natürlich auch „Mallorca“ in erster Linie Soap: Es gibt Gute und Böse, Intrigen und Liebe, Alltägliches und Existentielles. Am Sammelsurium der Nichtigkeiten kommt auch Pro 7 nicht vorbei, wenn zunächst 240 Folgen lang täglich 30 Minuten Sendezeit gefüllt sein wollen.

Und doch: Wieso sollte man einer Fließbandserie nicht auch Detailverliebtheit unterstellen dürfen? Warum sonst zeigten die allerersten „Mallorca“-Bilder die Landung eines Linienflugzeugs? Bloß weil das bei „Mallorca“ naheliegt? Oder vielleicht auch deshalb, weil genau so auch schon 1992 die erste Soap (“Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) und 1995 die beste (“Verbotene Liebe“) ins Vorabendprogramm einflogen. Und wenn der Einstiegsdialog des Pro 7-Seifenopernerstlings lautete: „Und? Wie findest du ihn?“ – „Ganz nett.“ – „Das ist alles? Du könntest wenigstens zugeben, daß er mir ausgezeichnet steht.“, müßte man diesen lapidaren Sätzen nicht zugestehen, daß sie auch prima für Sender und Soap gelten könnten?

Was ist das überhaupt für eine Serie, bei der die Drehbuchautoren gleich in Folge 1 eine Darstellerin (von der man schließlich annahm, daß man mit ihr die Vorabende der nächsten Jahre verbringen müßte) per Autounfall aus der Endloshandlung in die ewigen Jagdgründe verbannten?

Wie kann „Mallorca“ andererseits auf die ansonsten oft mühsam herbeigeschriebenen Cliffhanger verzichten und Tag für Tag bloß in eine mehr oder weniger offene Frage münden? Was hat es zu bedeuten, daß Pro 7 bereits unbeirrt am Konzept herumfrickelte, als die Konkurrenz ihre Soap-Neuzugänge wie zuletzt die (Un-)“Geliebten Schwestern“ von Sat.1 wegen Zuschauermangels und eines angeblich gesättigten Markts wieder einstellte? Warum nur haben die „Mallorca“-Erfinder, so Producer Enrique Sanchez Lansch, „aus einer dreistelligen Zahl von Titelvorschlägen“ ausgerechnet etwas so Simples wie „Mallorca“ ausgesucht? Und zwar zu einem Zeitpunkt, als die ungezählten „Poppen, Pickel, Palma“- Reportagen das ohnehin enorme Interesse der Deutschen an ihrer Baleareninsel endgültig in ein übles Klischee überführt hatten und nun selbst Sanchez Lansch zugeben muß, daß natürlich „das Assoziationsfeld der Zuschauer auch ganz stark mit dem ,Ballermann' verknüpft“ sei – um sogleich hinzuzufügen, daß man deshalb noch lange „keine Ballermannserie draus machen“, ja, ein solches Proletenimage „nicht einmal zu 50 Prozent bedienen“ wolle.

Allein: Derzeit will ohnehin kaum jemand „Mallorca“ angukken. Während RTL täglich rund fünf Millionen „Gute Zeiten ...“-Gukker vorm Fernsehgerät versammelt, sind's bei „Mallorca“ in der siebten Woche gerade mal 500.000. Die Verantwortlichen machen es sich leicht, verweisen auf die ebenfalls nicht gerade rühmlichen Einschaltquoten der Anfangstage anderer Dailys. Und recht haben sie: Denn rosig waren die wirklich nicht. Und Unrecht haben sie: Denn alle widerstandsfähigen Soaps hatten hierzulande von Anfang an immerhin gut doppelt so viele Zuschauer wie „Mallorca“. Pro 7-Programmchef Borris Brandt führt daher auch lieber „australische und ungarische“ Erfolgssoaps ins Feld, bevor er in die Rechtfertigungsoffensive geht: Als Spielfilmsender habe Pro 7 vor „Mallorca“ nun mal „keinen einzigen Soapzuschauer“ gehabt. Und die Serienoptik sei bislang einfach authentischer als die Urlaubserinnerungen der Mallorcatouristen vom letzten Jahr.

Brandts Beharren auf Qualität (das in seiner Konsequenz einer gekränkten Zuschauerbeschimpfung recht nahe kommt) verwundert um so mehr, als eine Soap bislang vor allem eines zu sein hatte: billig. Preiswerter kann Fernsehen sein Programm mit eigenproduzierter Fiction nicht füllen.

„Aus der Not heraus“ habe sich der Zuschauer daran gewöhnt, behauptet Sanchez Lansch, der mit „Mallorca“ die „Frage nach dem Alternativkonzept“ stellen und „der Beantwortung, ob das so realisierbar ist, ein Stückchen näher kommen“ will. Und tatsächlich ist „Mallorca“ stilsicherer ausgeleuchtet, prägnanter inszeniert und gespielt und in den Charakterentwürfen und Story-Lines einen Tick komplexer. Eine Qualitätssoap also? Das galt bisher als Contradictio in adjecto.

Doch auch wenn die Normabweichungen „Mallorcas“ nicht groß sind, haben sie die professionelle Programmbeobachtung so nachhaltig beschäftigt wie zuletzt vielleicht der Fall „Sabine Christiansen“. Ob Spiegel oder Focus, Bild-Zeitung oder der Fachdienst epd, ob Neue Osnabrücker Zeitung oder Mallorca Magazin – ihr aus Format- und Marktkenntnis gefügtes Fernsehweltbild wurde gründlich erschüttert: Was hat es also auf sich mit dieser Serie, die offensichtlich besser ist als andere und die dennoch kaum einer anschauen will?

Vielleicht nie zuvor kursierten Spekulationen über Anlaufkosten (30 Millionen Mark?), Produktionsaufwendungen (7.000 Mark pro Sendeminute?), Quotenerwartungen (1 Million?) derart öffentlich. Selbst Branchen-Know-how wie der TKP (der Tausender-Kontakt-Preis, den der Werbekunde je nach Jahreszeit, Sendeplatz und prognostizierter Zuschauerzahl für einen 30-Sekunden-Spot zahlen muß, um 1.000 Zuschauer in der Kernzielgruppe der 14-49jährigen zu erreichen) wird durch „Mallorca“ zu einer Art Allgemeinwissen. Das ist sicherlich begrüßenswerter als noch mehr Fanclubs, singende Serienstars und ihre in Top-News verwandelten Schicksalsschläge. Aber garantiert es auch das Überleben?

Nächsten Mittwoch lädt „Mallorca“ zu einem „unterhaltsamen und informativen 'Get together' „ auf die Dachterasse der Pro 7 Media AG, um allen Krisengerüchten zu begegnen und zu verkünden, man wolle „so weitermachen wie bisher“, „optimieren“, „das eigene Gepräge stärken“. Und der Sender, so Sanchez Lansch, werde „nochmals versichern, daß er dazu steht“. Brandt bestätigt: „Wir machen weiter!“ und betont jedes Wort. Und was wird anders? Brandt wünscht der Serie zunächst einmal „mehr Licht.“ Das aber war bekanntlich auch schon Goethes letzter Wunsch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen